Nachdem einige Wochen ins Land gegangen sind, haben sich eine Reihe von Gesprächen ergeben, welche die unterschiedlichsten Themen behandelt und dabei deutlich gemacht haben, wie bereichernd ein Gesprächsformat sein kann, das sich vom Regiment des hastigen Statements oder der Verlautbarung löst. Lässt man sich Zeit, können unterschiedliche Welten einander begegnen – entstehen immer wieder Einsichten, die über den Augenblick hinausweisen – oder, je nachdem, die Teilnehmer in ein befreites Gelächter ausbrechen lassen.
Reif sein, heißt, unausgesetzt sagen, was man nicht sagen sollte. Das ist die Kunst, ein Gespräch zu führen. (Oscar Wilde)
Folgten die Gespräche, die sich mit der Frage Degrowth, Energieproduktion und Klimawandel beschäftigten, dem Gebot der Stunde – so stellten sich hier immer auch Perspektiven ein, die im Tagesgeschäft selten, wenn überhaupt je berührt werden: mit Niko Paech ein Nachdenken über den Zusammenhang von Greenwashing und mittelalterlichem Ablasshandel, mit dem Stuttgarter Thermodynamiker André Thess eine Diskussion darüber, wie und warum das technische Machbare dem politischen Ränkespiel hat weichen können, mit Ralph Schöllhammer ein Ausflug in die politische Philosophie der Energieproduktion – und mit dem Klimatologen Hans von Storch schließlich die Frage, was das Anaversum des Donald Duck mit den Modellrechnungen der Klimatologen zu hat – und warum die Gegenwart es nicht fertig gebracht hat, sich jenes Versprechen zu geben, das die 1960er sich mit ihrem Plan vom Mann auf dem Mond herbei imaginiert haben. Und weil die politische Theorie eine gewichtige Rolle spielt, wurde im Gespräch mit Philip Manow die befremdliche Aktualität des Carl Schmitt’schen Dezisionismus zum Gegenstand – präsentierte Manow, ebenso überraschend wie überzeugend, den Souffleur des Nationalsozialismus als einen frühen Theoretiker der Globalisierung. Auf kuriose Weise war dies auch im Gespräch mit dem Netzaktivisten Geert Lovink ein Thema, der auf die Bedeutung der Massenpsychologie hinwies und darüber eine Form des digitalen Nihilismus herauspräparierte. Weil die Dinge zusammenhängen, ging es im Gespräch mit Sam Vaknin über die Psychologie von Borderline, Narzissmus und darum, was diese Krankheitsbilder mit dem digital native zu tun haben könnten. Von hier war es nur ein kleiner Schritt zu dem Fallbeispiel des Marcel Petiot, jenes Serienmmörders im besetzten Paris, über den Thomas Maeder ein wunderbares Buch geschrieben hat. Und weil das Leben lebensgroß ist, wartete die Unterhaltung mit Nahlah Saimeh mit den konkreten Einsichten einer forensischen Psychiaterin auf, so wie dies deutlich machte, dass das Böse mit einer Abwesenheit des Guten einhergeht – jener erlösenden Kraft, wie sie nur die Kunst und die Einbildungskraft zu spenden vermag. Mit Klaus Vondung wiederum kreiste das Gespräch um jene Form der Imagination, die sich in Gestalt der Apokalypse, in den Bildern von Zerstörung und Neubeginn, Weltende und himmlischem Jerusalem niedergeschlagen haben. Das Gespräch mit Hans Ulrich Gumbrecht wiederum war eine tour d’horizon, welche die Gestalt des antiken Athleten mit den erotischen Fantasien eines Michel Foucault und der Staatlichkeit im digitalen Zeitalter verknüpfte. Mit Karl Heinz Brodbeck wiederum stand der homo oeconomicus und die ausgeblendete Frage der Kreativität auf dem Programm – ein ökonomischer Blickwinkel, der in der (erstmals als Videocast festgehaltenen) Unterhaltung mit Michael Seemann seine Fortsetzung fand. War hier das Phantasma des Bitcoins die Hauptfrage, wandte sich das Gespräch mit Hannes Grassegger der Frage des Informationskrieges zu, der Logik des Avatars und den Kindheitserfahrungen des 4chan-Trolls, dessen Hauptproblem darin besteht, wie er seine Kampfstrategien IRL (in real life) übersetzt. Das Gespräch mit dem Lyriker Uwe Kolbe war insoweit besonders, als sich hier ein Gespräch entfaltete, das eigentlich vor vierzig Jahren hätte stattfinden sollen – und in diesem Sinn die Éducation sentimentale des Autors Martin Burckhardt mit einer parallelen Weltsicht ergänzte.
Wenn all diese Gespräche einem Leitmotiv folgen, so könnte man dieses mit der Formel Gedanken zur Zeit umschreiben – war doch jeder der Teilnehmer, auf seinem je eigenen Feld, damit beschäftigt, von der eigenen Expertise abzusehen und sich den Leerstellen des Diskurses zuzuwenden. Kurzum: es ging um das, was ein gemeinsames Nachdenken zu einem Abenteuer macht, ja einer beglückenden und bereichernden Erfahrung.