Wir Königskinder
Ein offener Brief an die Minister Paus und Buschmann, wg. Selbstbestimmungsgesetz
Sehr geehrte Ministerin, sehr geehrte Frau Paus,
sehr geehrter Minister, sehr geehrter Herr Dr. Buschmann,
ein kleines Caveat vorweg: Wenn Sie hier einen offenen Brief erhalten, so hat sich der Absender, was derlei öffentliche Verlautbarungen anbelangt, aufs Höchste zurückgehalten, sei es, weil sein Bedürfnis nach tagespolitischer Intervention unterentwickelt ist, sei es, weil ein Kommentar von ihm nicht selten als Blick aus dem Elfenbeinturm wahrgenommen wird. Nun aber fühlt sich meine Wenigkeit von Ihrem Selbstbestimmungsgesetz dazu ermutigt, dieses coming out zu unternehmen, umsomehr, als wir uns im Diskurs des LGBTQ+ definitiv auf der Plus-Seite wähnen. Zunächst einmal möchten wir Ihnen Anerkennung zollen dafür, dass Sie sich auf dieses Terrain vorgewagt gaben. Wer in Gottes Namen wollte der Idee der Selbstbestimmung widersprechen, umso mehr als sie sich mit der Toleranz vermählt und darüberhinaus bemüht ist, vergangenes Unrecht wiedergutmachen zu wollen? Schon diese Liste versammelt soviele Pluspunkte, dass jeder Einwand dagegen nur kleinlich sein kann. Allerdings hat schon Lessing bemerkte, dass der Großmut eine beständige Eigenschaft sein und der Seele nicht ruckhaft entfahren möge. Nachhaltigkeit, nicht wahr, darauf kommt es an! Sie, verehrte Frau Paus, werden dies nachfühlen mögen. Immerhin haben Sie ganze neun Jahre studiert – und damit wahrhaft Stamina an den Tag gelegt, jene Entschiedenheit, auf die es beim Kampf um die wehrhafte Demokratie ankommt, gegen die Reichsbürger! Und wie Sie selbst leidvoll erfahren haben, kann man sich irren – und da kann das Wissen von heute durchaus ein hilfreicher Ratgeber sein. Deswegen also dieses Schreiben, das den einzigen Zweck verfolgt, Ihr hehres Vorhaben auf seinen intellektuellen Kern einzuschmelzen. Also – zur Sache!
Mein bescheidener Fall hat damit zu tun, dass ich mich bei der Frage meines Geschlechtes auf zwei Buchstaben fokussieren möchte, die in der bisherigen Sequenz nicht vorkommen, die aber, nimmt man sie ernst, der Formulierung ihres Selbstbestimmungsgesetzes eine neue, präzisere Wendung geben können. Beginnen wir also mit jener schamhaften Enthüllung, der man, vielleicht etwas zu triumphalistisch, das Epitheton des Coming out zugesellt hat – welches in Wahrheit aber auf eine hochnotpeinliche Geschichte zurückgeht. Obwohl zutiefst bürgerlichen Verhältnissen entstammend, bin ich in der Anschauung eines Stammbaumes groß geworden, bei dem ganz oben Karl der Große prangte – und ganz unten, als Zweitgeborener, meine Wenigkeit. Nun war mein Vater, auf den dieses Machwerk zurückgeht, zwar ein Geistlicher - aber aus irgendeinem Grunde mit einem Adelskomplex geschlagen, und eben dies hat ihn dazu gebracht, sich der genealogischen Forschung zu widmen. In meinem kindlichen Gemüt nun hat die tägliche Ansicht des Stammbaums die innere Überzeugung genährt, dass ich dem Geschlecht der Royals angehöre – und dass mein persönliches Pronomen infolgedessen His or Her Majesty lautet, genderfluid und politisch korrekt. Bedauerlicherweise ist dieses R, obwohl die Blaublütigen doch auf eine ehrenvolle Geschichte zurückschauen können, in der Liste der möglichen Geschlechter nicht enthalten – aber weil die Propagandisten des Trans, mit großer Weisheit geschlagen, ihrer Liste ein + hinzugefügt haben, werden Sie mir gewiss zustimmen, dass auch diese fragile Identität ein schützenswertes Gut sein muss – umsomehr als ich, für mich jedenfalls, einer Form multipler Intersektionalität geltend machen kann: genderfluid, royal, Bankert-verdächtig, Pfarrerskind. Nur als Beispiel: Überlegen Sie doch bitte einmal, welch fatalen Eindruck es auf ein argloses Pfarrerskind macht, wenn es in der Schule, also von oben herab, mit dem Ausspruch begrüßt wird: Müllers Vieh und Pfarrers Kind gedeihen selten oder nie! - ein Ausspruch, den rassistisch zu nennen eine Untertreibung wäre, den man vielmehr bestialisch nennen müsste, umsomehr, als auf diese Weise ein makelloser Stammbaum befleckt wird… Aber genug davon. Ich wäre ja schon zufrieden damit, wenn man mein royales Geschlecht respektieren und mich fortan mit His or Her Majesty anreden würde, eine Ergebenheitsformel, die, zumal wenn Sie aus Ihrem Mund kommt, alle Wunden heilen würde, die mir aus der Schulzeit erinnerlich sind. Nun bin ich, wie gesagt, nicht ganz sicher, ob mein royales Geschlecht tatsächlich die Klaviatur meines ganzen Wesens abdeckt – oder ob da nicht noch etwas anderes lauert. Wenn ich mich als Theoretiker an einer Alien Logic versucht habe, so deswegen, weil irgendetwas in mir zutiefst davon überzeugt ist, einer extraterrestrischen Spezies anzugehören – jener außeriridischen Kulturstifter-Gattung, über die sich ein Erich von Däniken bereits hinlänglich geäußert hat. Und deswegen könnte es durchaus passieren, dass ich, nachdem ich mich beim Einwohnermeldeamt dem königlichen Geschlecht zugehörig erklärt habe, mich im folgenden Jahr als Alien erklären werde: also A. Ich muss gestehen: Die Möglichkeit eines solchen Positionswechsels ist wahrhaft ein Kunstgriff – und wie mir scheint, ist Ihre ganze Lebenserfahrung darin eingeflossen. Sei, der du sein wirst! Der Weg ist das Ziel! Und wie Sie sehen, weiß ich die moralische Flexibilität Ihres Beitrags durchaus zu schätzen.
Umso schwerer fällt es mir, Ihrem Gebräu ein paar Wermutstropfen hinzugeben zu müssen. Nehmen wir einmal an, dass ein unwürdigerer Zeitgenosse sich meinem Beispiel anschließen und sein königliches Geschlecht anmelden möchte. Und weil der Wunsch des Menschen Himmel-, nein, weil er des Menschen Königreich ist, werden wir ihm den Gefallen tun und ihn mit dem gewünschten Pronomen anreden. So weit, so gut. Allerdings enthält Ihr Gesetzespassus, unter dem § 13, ein sogenanntes Offenbarungsverbot, welches besagt:
Sind Geschlechtsangabe und Vornamen einer Person nach § 2 geändert worden, so dürfen die bis zur Änderung eingetragene Geschlechtsangabe und die bis zur Änderung eingetragenen Vornamen ohne Zustimmung dieser Person nicht offenbart oder ausgeforscht werden.
Mit anderen Worten: Her Majesty könnte sich beleidigt fühlen, wenn irgendein Untertan auf den Gedanken verfiele, die Eintragung des königlichen Geschlechts in Zweifel zu ziehen – indem er beispielsweise darauf hinwiese, dass Max Mustermann aus dem Hinterwald stammt und bis dato dem männlichen Geschlecht angehört hat. Folglich könnte sich die beleidigte Majestät bemüßigt fühlen, den Betreffenden wegen Unterlaufung des Offenbarungsverbots anzuzeigen – was, wie ich dem Gesetz entnehme, eine Ordnungswidrigkeit darstellt und nach § 14 mit einer »Geldbuße bis zu zehntausend Euro geahndet werden« kann. Meinerseits, das jedenfalls kann ich versichern, werde ich mich zu einer solchen Anzeige niemals versteigen – aber ich bin mir nicht sicher, ob ein Zeitgenosse, der den strategischen Vorteil einer solchen Amtsanmaßungsofferte begriffe, ähnlich großzügig wäre. Ganz im Gegenteil! Frech kommt weiter! Und genau dies führt mich zu einer Schlussfolgerung, die Ihnen, vielleicht Ihrer guten Absichten wegen, entgangen zu sein scheint. Denn was Ihr Gesetzesentwurf bewirkt, ist, dass er jedem Menschen eine Form der Souveränität zuspricht, die ehedem nur His or Her Majesty für sich hat beanspruchen können – und dies auch nur unter der Prämisse, dass sie als Gottes Stellvertreter auf Erden fungiert. Gewiss, Sie könnten daran erinnern, dass bereits Ihr Vorgänger Heiko Maas sein Netzwerkdurchsetzungsgesetz mit dem Hinweis auf die Datensouveränität (und Carl Schmitt) durchgesetzt hat, aber ich fürchte, das macht die Sache nicht besser. De facto nämlich haben Sie unter der Hand einen Majestätsbeleidigungsparagraphen ins Gesetzbuch gezaubert – mit der Folge, dass nun jedermann sich als Königskind wähnen und jeden Mitbürger der Majestätsbeleidigung zeihen kann, ein Paragraf, der dem Rechtsfrieden nicht nur nicht zuträglich ist, sondern den man gleichsam als Aufforderung zum Bürgerkrieg missverstehen kann (was ein Grund gewesen sein mag, dass das von Ihnen gewährte Selbstbestimmungsprivileg nur für den Friedensfall gilt, während nach § 9 »für die Dauer eines Spannungs- oder Verteidigungsfalles die amtliche Zuordnung zum männlichen Geschlecht bestehen bleibt«. Aber lassen wir derlei Petitessen beiseite, kümmern wir uns den Kern des Arguments. Ich will, um den darin pulsierenden Widersinn freizulegen, noch einen Schritt weitergehen. Denn wenn jeder*mann*frau*alien+ seine persönliche Wahrheit zu einem Rechtstitel machen und mit Hilfe der Justiz durchsetzen kann, findet er sich in jener privilegierten Position, die wir bislang nur der Zentralbank zuerkannt haben: Er emittiert seine persönliche Wahrheit und zwingt seine Zeitgenossen dazu, sie als gesetzliches Zahlungsmittel zu akzeptieren. Nicht dass ich nicht versucht wäre, meinem BURCKHARDT eine größere Verbreitung zu wünschen, aber dass jeder ein solches Privileg genießen sollte, konfligiert doch mit meinem royalen Exklusivitätsanspruch. Nun will ich zu Ihren Gunsten konzedieren, dass Sie, erfüllt von der edlen Mission, die Implikationen Ihres Gesetzesvorhabens nicht zuende gedacht haben. Shit happens! Und wer wollte schon den Stab über Sie brechen?! Bemerkenswert finde ich allerdings, dass keines Ihrer Häuser über rechtsphilosophisch geschulte Köpfe zu verfügen scheint, welche die sozialpolitischen Konsequenzen Ihres Majestätsbeleidigungsparagrafen durchbuchstabiert haben – den Umstand nämlich, dass Sie damit geschlossen in die Untiefen des Kaiserreichs und des Reichsbürgerunwesens zurück steigen, mittenmang! Die bedauerliche Abwesenheit eines Erwachsenen hat mir einen Kommentar Talleyrands vor Augen geführt, den er auf eine Aktion Napoleons gemünzt hat (und der vorwegnimmt, was der ehrenwerte Carlo M. Cipolla in Gestalt seiner Stupidologie zu einer Wissenschaft hat werden lassen wollen): »Es war schlimmer als ein Verbrechen, es war eine Dummheit.«
Da ich mich nach ausgiebigen Recherchen ebenfalls zu den Royals zähle, besteht hier eine Kollision, denn ich verstehe unter Royals "Thronnachfolger", und das ist ganz offensichtlich mein exklusives Privileg. Ich werde mir juristische Schritte gegen Ihre Anmaßung vorbehalten und dabei Buschmann und Paus zitieren!!
Frank Raudszus