Wenn Foucault, der in den 70er Jahren noch als randständiger Intellektueller galt, unterdes zum meistzitierten Denker der Welt geworden ist, so ist dies umso merkwürdiger, als Foucault zu den großen Rätselgestalten der Philosophie gehört. Und weil man es zudem mit einem sonderbaren Formwandler zu tun hat, der eine Reihe von bemerkenswerten Selbstverwandlungen hingelegt hat, ist die Beschäftigung mit seinem Werk überaus lohnend – und Grund genug, sich mit Philipp Sarasin zu unterhalten, der im deutschsprachigen Raum wohl der beste Foucault-Kenner ist und ihm gleich mehrere Bücher gewidmet hat. Sarasin seinerseits gehört der Gattung jener furchtlosen Historiker an, welche, in der Postmoderne beheimatet, die Geschichte nicht als Bühne der großen Männer auffasst, sondern als eine komplizierte Textur, in der höchst reizbare Maschinen am Werk sind. Und so bekommt man es nicht nur mit einem verwissenschaftlichten Körper zu tun, sondern mit der Biopolitik des Unsichtbaren – ja, einer eigentlich phantasmatischen Welt. Gänzlich ungewöhnlich aber ist Sarasins Buch 1977. Eine kurze Geschichte der Gegenwart, in der Sarasin den Disruptionen und Diskursverschiebungen der Gegenwart nachspürt – was ihn zur RAF, zum Centre Pompidou und zur Formierung der Identitätspolitik führt. Und natürlich hat auch hier Michel Foucault seinen Auftritt: als Denker, der sich von den Fantasien der Studentenrevolte verabschiedet und sich stattdessen, in einer sonderbaren Volte, dem Zen und der Frage der Freiheit zuwendet – was zu der Frage führt, wie sich die iranische Revolution und der Neoliberalismus unter einen Hut bringen lassen.
Philipp Sarasin hat bis zu seiner Emeritierung Neuere Allgemeine Geschichte am Historischen Seminar der Universität Zürich gelehrt. Er warMitherausgeber des Online-Magazins Geschichte der Gegenwart.
Von Philipp Sarasin sind erschienen (u.a.)
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