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Im Gespräch mit ... Matthias Heine

Warum der Sprachumbau in eine Orwellsche Dystopie hineinführt
©Martin Lengemann

Auf eine sonderbare Weise hat sich in den letzten Jahren eine fast Orwellsche Sprachpolitik eingebürgert, bei der sich einige Zeitgenossen, wie eine Art informeller Sprachpolizei, dazu ermächtigt fühlen, die Verlautbarungen ihrer Zeitgenossen zu klassifizieren. Mag man sich in der Überzeugung, dass die Welt nichts weiter ist als ein Sprechakt, ja dass selbst das Schweigen einen Gewaltakt darstellen kann (»silence is violence«), auf höchst zweifelhaftem philosophischen Fundament bewegen, hat die Sprach-Regulierungswut unterdessen auch Verwaltungen und Konzerne erfasst. Ja, im Gefolge der Hate-Speech-Hysterie kommt es nicht selten vor, dass die Verwendung eines »falschen« Wortes auch juristische Konsequenzen hat. Matthias Heine, der als Wissenschaftler an der Neubearbeitung des Deutschen Wörterbuchs mitgewirkt hat, hat sich dem Phänomen des Sprachumbaus, den er als gesamtgesellschaftliche Katastrophe begreift, in gleich mehreren Büchern genähert. Stellen diese zugleich einen Streifzug durch unsere Kulturgeschichte dar, der von Martin Luthers spätmittelalterlicher Legasthenie (14 Schreibweisen des Wortes »Wittenberg«) bis hin zu den Sprachinterventionen der Tagesschau reicht, wird darüber sichtbar, wie exzeptionell die derzeitigen Eingriffe in unsere Sprache sind. Wenn selbst ein Josef Stalin auf die Forderung seiner Parteigenossen, die russische Sprache von feudalen Überresten zu säubern, entgegnete, dass die Sprache seit jeher ein Volkseigentum darstelle, eine solche Forderung mithin unsinnig sei, begreift man, dass man es mit einem revolutionären Furor zu tun hat, der an Radikalität noch manche Verstiegenheit der Vergangenheit in den Schatten stellt. Schon aus diesem Grund war die Unterhaltung mit Matthias Heine überaus lehrreich – hat das Gespräch Perspektiven eröffnet, welche den großen Sprachumbau der Gegenwart in ein neues, durchaus überraschendes Licht tauchen.

Matthias Heine, der zunächst als freier Journalist für die Welt, die FAZ und den Cicero schrieb, ist seit 2010 als Feuilletonredakteur bei der Welt tätig.

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