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Im Gespräch mit ... Mathias Brodkorb

Über Orwell, den metaphysischen Nazi und die Delegitimierung des Staates

Es ist schon eine Weile her, dass die alte Punk-Parole (»legal, illegal, scheißegal!«) sich Laut machte, gleichwohl scheint sich auch unsere classe politique in einer großen Verwirrung zu befinden, was den Geist der Gesetze anbelangt. Anders jedenfalls ist nicht nicht zu erklären, dass man im Jahr 2021 ein Vergehen namens Verfassungsschutz-relevante Delegitimierung des Staates ersann - und zudem, anders als ehedem, da man sich auf staatsfeindliche Gruppierungen fokussiert hatte, nun auch noch Einzelpersonen zu Beobachtungsobjekten macht. Was aus derlei unscharfen Rechtbegriffen erwächst, die auch Vorfälle »unterhalb der Strafbarkeitsschwelle« erforschen, lässt dunkle Erinnerungen an Orwell’sche Gedankenverbrechen und ein obrigkeitsstaatliche Denken aufkommen. Dass nun ausgerechnet jene Institution, deren Aufgabe es doch wäre, das Vornehmste dieses Staatsgebildes, nämlich seine Verfassung zu schützen (und zwar auf die diskreteste Art und Weise), sich als Akteur ins Tagesgeschehen einmischt und munter ihre Weisheiten in die Welt hinaustweeted, ist einigermaßen irritierend – umsomehr als derlei auf den bürgerlichen Tod der Beobachtungsobjekte hinauslaufen kann. Und so zitiert Mathias Brodkorb Toqueville, der schon im 19. Jahrhundert die Logik des Cancelns als ›Vervollkommnung des Despotismus‹ begriffen hat:

Du wirst dein Bürgerrecht behalten, aber es wird dir nicht mehr nützen (…). Du wirst weiter bei den Menschen wohnen, aber deine Rechte auf menschlichen Umgang verlieren. (…) Gehe hin in Frieden, ich lasse dir das Leben, aber es ist schlimmer als der Tod.‹

Die Beobachtungen, die Mathias Brodkorb (seines Zeichens Sozialdemokrat und Ex-Finanzminister der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern) in seinem Buch Gesinnungspolizei im Rechtsstaat zusammengetragen hat, sind durchaus verstörend. Dabei ist eine der großen Stärken, dass Brodkorb sich nicht nur mit den Beobachtungsobjekten des Verfassungsschutzes, rechts wie links, ausgetauscht hat, sondern auch mit Mitarbeitern des Verfassungsschutzes selbst. War letzteres nur unter konspirativen Bedingungen möglich, so bezeugen diese Innenansichten, dass auch langjährige Mitarbeiter der Entwicklung ihrer eigene Behörde höchst kritisch gegenüberstehen können.

Mathias Brodkorb, studierter Philosoph und Gräzist, hat sich, bevor er im Kabinett Sellering in Mecklenburg-Vorpommern zunächst Kultur-, dann Finanzminister wurde, vor allem dem Kampf gegen Rechts verschrieben. Derzeit ist er als Kolumnist für das Magazin Cicero tätig.

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