Mir fällt zu Donald Trump nichts mehr ein. Vielleicht war schon alles gesagt, als ich, noch vor seiner ersten Präsidentschaft, die Notizen seines Ghostwriters Tony Schwartz zu Gesicht bekam; denn als ich las, dass dieser ihn als eine Art schwarzes Loch bezeichnete, dem es einzig und allein um die Aufmerksamkeit des Publikums zu tun ist, war augenfällig, dass man einen Twitter-König zum Präsidenten gemacht hatte – und dass mit dem Apprentice das Reality-TV die Politik erobert hatte. Diese Einsicht war weit schockierender als jeder wie auch immer geartete Verdacht, was die Persönlichkeit des Kandidaten anbelangte – machte sie doch klar, dass wir tatsächlich in der Welt der Post-Demokratie angelangt sind, ja, dass die größte und erfolgreichste Wirtschaftsmacht sich in einen Zustand hinein katapultiert hat, in dem man es mit hyperbolischen Wahrheiten1 zu tun hat, also: Bullshit. Was damit gesagt ist, ist, dass die Haltbarkeit der politische Diskurse auf den Augenblick zusammengeschrumpft ist, ja, dass man es – in Abwesenheit eines nachhaltig politischen Plans, geschweige denn einer politischen Philosophie – mit dem blanken Opportunismus zu tun bekommt, einer Feedbacklogik, bei der die Diskurse sich auf das Niveau einer Reality TV-Show einstimmen. Und dies ist, wie ich fürchte, nicht das Privileg des amerikanischen Präsidenten allein, sondern hat sich auch hierzulande eingehaust – die designierte Präsidentin der UN-Generalversammlung lässt grüßen!
Hier geraten wir in eine Problematik hinein, die der Berater des französischen Kaisers, Talleyrand, als erster deutlich erfasst hat. Denn als Napoleon einen Gegner hatte hinrichten lassen, beschied ihn Talleyrand kühl: Monsieur, das war schlimmer als ein Verbrechen, das war eine Dummheit. In ein ähnliches Register fallen die Bemerkungen Dietrich Bonhoeffers, der in seinen Briefen aus dem Gefängnis bemerkte:
Dummheit ist ein gefährlicherer Feind des Guten als Bosheit. Gegen das Böse lässt sich protestieren, es lässt sich bloßstellen, es lässt sich notfalls mit Gewalt verhindern, das Böse trägt immer den Keim der Selbstzersetzung in sich, indem es mindestens ein Unbehagen im Menschen zurücklässt. Gegen die Dummheit sind wir wehrlos. Weder mit Protesten noch durch Gewalt lässt sich hier etwas ausrichten; Gründe verfangen nicht. (…) Dabei ist der Dumme im Unterschied zum Bösen restlos mit sich selbst zufrieden; ja, er wird sogar gefährlich, indem er leicht gereizt zum Angriff übergeht. (…) Dass der Dumme oft bockig ist, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass er nicht selbständig ist. Man spürt es geradezu im Gespräch mit ihm, dass man es gar nicht mit ihm selbst, mit ihm persönlich, sondern mit über ihn mächtig gewordenen Schlagworten, Parolen etc. zu tun hat.2
Was Bonhoeffer hier zeichnet, ist das Porträt des Parteigängers, der – von Schlagworten, Parolen und Ideologemen verblendet – in einen Modus der Massenexistenz eingetreten ist. Infolgedessen rangiert, was Bonhoeffer Dummheit nennt, nicht im Register der Intelligenz, sondern eher im Felde der Psychologie – kommt er zu dem Schluss, dass die Dummheit »nicht wesentlich ein intellektueller, sondern ein menschlicher Defekt ist.«3
Dies mag erklären, dass auch hochintelligente Geister, Denker vom Schlage eines Heidegger oder eines Carl Schmitt, sich im Labyrinth der politischen Torheit haben verlieren können – dass man es mithin mit Dummheiten zu tun bekommt, die einen eindeutig intellektuellen, ja philosophischen Anstrich haben können.
Vergegenwärtigt man sich den historischen Hintergrund, mag Bonhoeffers Moralisierung der Dummheit, die in ihr, als Steigerungsform der Bosheit, den Inbegriff des radikal Bösen ausmacht, durchaus verständlich sein – aus der Sicht ihres Autors zumal. Denn als Bonhoeffer dies schrieb, war er von den Nazis eingekerkert und sah seiner Hinrichtung entgegen. Jedoch ist eine solche Moralisierung wenig hilfreich, wenn es darum geht, zu erklären, wie eine ganze Gesellschaft (s. oben) diesem Laster verfällt. Mit dieser Frage beginnt die Stunde des Carlo M. Cipolla, der mit einem gut 11 Seiten langen Text die Disziplin der Stupidologie aus der Taufe gehoben, nein mehr noch, der darüber einen regelrechten Hype ausgelöst hat.
Lange bevor ich von dieser kleinen Schrift Kenntnis nahm, war mir Cipolla als Wirtschaftshistoriker des Mittelalters bekannt, als Denker, der sich mit einem feinen Sensorium höchst merkwürdigen Fragen gewidmet hatte: der Frage etwa, was es mit den Geisterwährungen des Mittelalters auf sich hat4 und wie es mit der Literarizität vor der Gutenberg’schen Druckerpresse bestellt war – wobei die von ihm angeführten Beispiele sich meinem Gedächtnis unauslöschlich einbrannten, etwa, dass eine Bibliothek von 14 Büchern im Italien des 14. Jahrhunderts landesweite Bekanntheit genoss und eine junge Dame, vor die Wahl gestellt, entweder einen corpus iuris oder einen Ehemann zu erhalten, sich für ersteres entschied. Dass Cipollas satirisches Büchlein Allegro ma non troppo sich zu einem Bestseller entwickeln würde (mit einer Auflage von über 300.000), war ihm wohl selber nicht klar – hatte er diesen (im übrigen nicht ganz ernst gemeinten) Text als Privatdruck nur seinem Freundeskreis zugedacht. War der erste Text, in dem er die »Die Rolle der Gewürze (insbesondere des Pfeffers) für die wirtschaftliche Entwicklung des Mittelalters« darlegte, eine Persiflage der eigenen Forschungspraxis, waren die Prinzipen der menschlichen Dummheit ein zwar amüsanter, aber letztlich durchaus abgründiger Beitrag. Dies gilt umsomehr, wenn man sich vor Augen hält, dass Cipolla, als ausgewiesener Kenner des Spätmittelalters, mit der Schizophrenie dieses Zeitalters höchst vertraut war. In Kurzformen lauten seine 5 Gesetze der Dummheit folgendermaßen:
Stets und unvermeidlich wird die Zahl der im Umlauf befindlichen dummen Individuen unterschätzt.
Die Wahrscheinlichkeit, dass eine bestimmte Person dumm ist, besteht unabhängig von jeder anderen Eigenschaft dieser Person. Demzufolge gibt es einen stets gleich hohen Anteil an Dummen in allen gesellschaftlichen Gruppen, sowohl bei Hausmeistern wie bei Universitätsprofessoren.
Ein dummer Mensch ist jemand, der einer anderen Person oder einer Gruppe von Personen Schaden zufügt, ohne selber dabei Gewinn zu erzielen und dabei u. U. sogar zusätzlichen Verlust macht (das sogenannte „goldene Prinzip“).
Menschen, die nicht dumm sind, unterschätzen stets das Gefährlichkeitspotential dummer Menschen. Vor allem vergessen Menschen, die nicht dumm sind, ständig, dass Verhandlungen und/oder Verbindungen mit dummen Personen zu jedem Zeitpunkt, an jedem Ort und in jedem Fall sich unweigerlich als teurer Irrtum herausstellen werden.
Eine dumme Person ist der gefährlichste Typ aller Personen.
Überzeugend wird diese Argumentation vor allem dadurch, dass Cipolla den Dummen mit dem Verbrecher vergleicht. Denn während der Verbrecher, der sich durch Hinterlist in den Besitz eines anderen bringt, der Gesellschaft keinen Schaden zufügt (in makroökonomischer Perspektive jedenfalls, denn hier wechselt das Gut A lediglich seinen Besitzer, bleibt aber als solches erhalten), gelingt es dem Dummen, sich selbst und andere zu schädigen. Dummheit, mit anderen Worten, erweist sich als eine Form gesellschaftsschädlichen Verhaltens – und dieses ist umso fataler, als sich die Betreffenden dabei auf der Höhe des Weltgeistes, wenn nicht gar als moralische Weltmeister wähnen können. An genau dieser Stelle wäre die Frage zu stellen, ob Cipollas Stupidologie nicht eigentlich die Divina commedia eines sehr viel größeren, sehr viel dunkleren sozialen Dramas ist: einer Gesellschaft nämlich, die, anstatt der Ratio zuzuarbeiten, sich in Schlagworten, Slogans und Ideologemen gefällt, deren einziger Sinn allein darin besteht, den Lautsprechern die Unverletzlichkeit ihres Weltbildes weiszumachen. In diesem Sinn ist Cipollas Stupidologie nur das Entrée in eine Welt, in der die moralische Ökonomie der Gutmenschen das Kommando übernommen hat – und in der, wie über den Toren von Dantes Hölle, die Inschrift prangen müsste: »Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren« - Lasciate ogni speranza, voi che entrate. In der Tat lassen das moral grandstanding ebenso wie die Rückkehr des apokalyptischen Denkens erkennen, dass wir es mit einer kollektivierten, gesellschaftlich akzeptierten Dummheit zu tun haben, einer Weltverschwörung der Idioten, wenn man so will. Und möglicherweise wäre dies, weit mehr als jede sachliche Auseinandersetzung, der einzige Kommentar, den man zu den Zeitläuften und ihren Protagonisten abgeben könnte: Gütiger Gott! Das war schlimmer als ein Verbrechen, das war eine Dummheit!
Dieser Ausdruck geht auf Tony Schwartz zurück, der, um Trump näher kennenzulernen, darum gebeten hatte, ihm einen ganzen Tag lang beim Telefonieren zuhören zu dürfen. Bei dieser Gelegenheit bekam Tony Schwartz mit, dass Trump seine Telefonpartner nicht bloß mit den schmierigsten Komplimenten überhäufte, sondern dass er, um es gelinde zu sagen, ein höchst flexibles, zudem durch und durch strategisches Verhältnis zur Wahrheit pflegte. Die Frage war: Wie ließ sich dies in dem gemeinsamen Buch verkaufen, ohne zu solch wenig schmeichelhaften Begriffen wie ›Lüge‹ oder ›Betrug‹ Zuflucht zu nehmen? Der Begriff auf den Schwartz verfiel, war der der hyperbolischen Wahrheit. Nichtsdestotrotz war er sich unsicher, wie Trump auf die rhetorisch geschönte Darstellung seiner Verhandlungstechniken reagieren würde. Erstaunlicherweise war Trump nicht im mindesten irritiert, sondern fand den Begriff der hyperbolischen Wahrheit geradezu genial.
Dietrich Bonhoeffer: Ergebung und Widerstand. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft. Hg. v. Eberhard Betghe. Gütersloh 1983, S. 14 ff.
Ebenda, S. 15.
Carlo Cipolla: Money, Prices and Civilization in the Mediterranen World. Princeton 1956.
Im Gespräch mit ... Mathias Brodkorb
Es ist schon eine Weile her, dass die alte Punk-Parole (»legal, illegal, scheißegal!«) sich Laut machte, gleichwohl scheint sich auch unsere classe politique in einer großen Verwirrung zu befinden, was den Geist der Gesetze anbelangt. Anders jedenfalls ist nicht nicht zu erklären, dass man im Jahr 2021 ein Vergehen namens
Im Gespräch mit ... Robert Pfaller
Hat sich die Gesellschaft im Zuge der sexuellen Revolution ihrer Hemmungen entledigt, in einem solchen Maße, dass auch der Trash Factor zu einer vergnüglichen Angelegenheit werden kann, hat sich in den letzten Jahren eine merkwürdige Verschiebung ereignet. Urplötzlich nämlich hat die Scham die öffentliche Bühne erobert.…
Die Trägheit des Herzens
Große Entscheidungen, so hat uns Greta, die Heilige der Letzten Tage, gelehrt, sind einfach. Sehr viel schwieriger seien die einfachen Entscheidungen, »zum Beispiel, welche Socken ich morgens anziehen soll«. Und weil dies schon Meister Eckhart gewusst hat (»Gott ist einfach«), wissen wir, dass uns diese Aussage in ein religi…