Es gibt Momente tiefer Verwunderung – und nicht selten gehen sie mit einem großen Gelächter einher. Wie in dem Augenblick, als Sam Vaknin in unserem Gespräch mit größter Ernsthaftigkeit äußerte, er sei ein Zeitgenosse Shakespeares – und mir augenblicklich die Zeile aus Macbeth durch den Kopf schoss: Fair is foul and foul is fear.1 Nicht selten jedoch ist das Gelächter nur Ausdruck einer untergründig lange schon wirkenden Einsicht. Tatsächlich ist der Skeptizismus (seit vielen, vielen Jahren schon) ein stummer Begleiter meines Denkens, ein Sekundant, der mich dazu anhält, jede Form von Scheinevidenz einem geistigen Säurebad zu unterziehen – was zu Sätzen und Formulierungen geführt hat, bei denen das Schöne, Wahre und Gute sich in die Simulation, nein, mehr noch: in die Unkenntlichkeit auflöst.
Wo alles unter Einkaufspreis zu haben ist, wird das Epistemische vom Bullshit gekapert, die Ästhetik vom Sozialkitsch überwältigt und die Moral von dem, was man moral grandstanding nennt: Tugendprotzerei.2
Mit dem fair is foul, and foul is fair ist, was Habermas einst die ›neue Unübersichtlichkeit‹ genannt hat, zu einer Alltagserfahrung geworden. Folglich ist die gedankliche Doppelbelichtung nachgerade eine Unerlässlichkeit. Umgekehrt mag es scheinen, als ob die Verunklarung der Verhältnisse dazu führt, dass sich die Zeitgenossen über eine Form des virtue signalling der eigenen Integrität rückversichern müssen – und nicht selten die Kategorien durcheinanderwirbeln. In jedem Fall scheint in manchen intellektuellen Verwandlungen der Gegenwart eine Abgründigkeit auf, wie man sie in Reinform nur im Werke des Carl Schmitt beobachten kann, jenes Theoretikers, dessen Denken sich am präzisesten als eine Form des philosophischen Breaking Bad begreifen lässt.
Der Feind ist unsere Frage in Gestalt.
Wenn Schmitt diese Formel zu einem politischen Programm hat werden lassen, so ist damit gesagt: Der Feind ist derjenige, den ich abspalten muss, um mir die eigentliche Frage nicht stellen zu müssen. Strenggenommen hat man es mit einer psychischen Ausbürgerung zu tun, bei der ein vagierendes, ortloses Entfremdungsgefühl an einen Anderen wegdelegiert wird. Insofern der Andere das negative Selbstbild übernimmt, steht dem Selbstgefühl, ja der Selbstglorifizierung nichts mehr im Wege. Wenn ein luzider Geist wie Bruno Latour in seinen Gifford Lectures Carl Schmitt hat bemühen müssen (ganz zu schweigen von den Aktivisten des Climate Emergency Funds, welche sich die Schmitt’sche Souveränitätsformel aufs Banner geschrieben haben: How to Lead the Public into Emegency Mode), bezeugt dies nur, welch unglaubliche Verführungskraft von der Schmitt’schen Selbstermächtigungsformel ausgeht.
Dass die Macht eine Droge darstellt, ist nun wahrlich nichts Neues. Sehr viel beunruhigender ist, wenn der Ausgangspunkt tatsächlich eine Ohnmachtserfahrung ist. Hier stellt sich die Frage: Wie groß ist das Vakuum, wenn die Selbstvergewisserung eines ausgelagerten Erzbösewichts bedarf – umso mehr, wenn das, was dieser in Abrede stellt, in einer wolkigen, ungewissen Zukunft stattfindet.
Dass der Himmel, oder präziser noch: die zeitgemäße Klimadebatte zu einer symbolischen Kriegszone geworden ist, ist dabei keineswegs zufällig. Wie das Mittelalter seine Konflikte an der Transsubstantitationslehre Christi, dem Geschlecht der Engel und dem Fegerfeuer austrug3, stellen vor allem die aller unmittelbaren Erfahrung entzogenen Wirklichkeitsbereiche eine ideale Kampfzone dar. Weil es keinen diesseitigen Richter gibt, kann sich das apokalyptische Denken mit der politischen Theologie mischen und jenes geistige Feuer erzeugen, aus denen sich die zeitgemäßen Kulturkriege speisen. Der Politologe Roger Pielke jr. (mit dem wir ein höchst anregendes Gespräch geführt haben, das in Kürze online gehen wird) hat in einem kleinen Text auf seinem Substack-Blog „The Honest Broker“ so etwas wie eine persönliche Ätiologie dieses Kulturkampfs vorgeführt: How I Became Voldemort in Climate Science.
Folgt man dieser Geschichte, gerät man in eine absurd anmutende, aber höchst beunruhigende Debatte hinein, bei der eine kleine Schar von Aktivisten sich einen respektablen, vielzitierten Wissenschaftler ausgeschaut und aufs Schärfste bekämpft hat. Dabei ging dem Ostrazismus eine Schmutzkampagne voraus, bei der sich vor allem ein Vertreter der Center for American Progress, Joe Romm, hervortat, der mit dem Eifer eines Kreuzzüglers (auf Neudeutsch: eines Aktivisten) dafür sorgte, die Reputation seines Gegners zu beschädigen. Der absurde Höhepunkt dieser Auseinandersetzung war, dass Romm das Angebot seines Kontrahenten, sich in aller Öffentlichkeit und noch dazu in seiner Heimatstadt auf ein Rededuell einzulassen, ausschlug – mit dem sinnigen Hinweis, er wolle seinem Kontrahenten keine Plattform bieten4 - was ihn in der Folge nicht abhielt, dem Erzfeind mit weit über Hundert Texten und einer nicht endend wollenden Suada von Beschimpfungen (serial liar) auf den Leib zu rücken.
Die entscheidende Frage freilich ist: Wieso bedarf eine solchen Debatte eines Voldemorts? Einer Gestalt mithin, die nicht erwähnt werden darf (He Who Must Not Be Named), aber gleichwohl - im Sinne einer negativen Mimesis - das eigene Denken bestimmt. Folgt man dem Schmitt’schen Denken, ist die Antwort von entwaffnender Schlichtheit. Man braucht den Feind, weil er, der Klimaleugner, die Rolle eines diabolon einnimmt – und weil sich die Präsenz eines solchen Antipoden in eine Form der Zugehörigkeit, politischen Einfluss ummünzen lässt.5 Dabei ist der Antipode (als äußerer, ausgebürgerter Feind) von strategischer Bedeutung. Zum einen erklärt seine bloße Existenz, warum die eigenen Pläne noch nicht in die Realität haben umgesetzt werden können, zum anderen verstärkt er (zumal, wenn man dahinter ein Komplott mutmaßen kann) die Dringlichkeit der apokalyptischen Botschaft – und dies wiederum fordert die Unentschiedenen dazu auf, die Reihen zu schließen. Letztlich gerät man in den Bann des Schmitt’schen Dezionismus hinein, eines Politikverständnisses, das die Politik mit der Scheidung von Freund und Feind beginnen lässt. Folglich schreiben Bruno Latour und Nicolaj Schultz in ihrem Memorandum:
Die ökologische Klasse, im Kampf mit den alten Schlüsselklassen begriffen, erkennt sich mithin das Recht zu, »Boden«, »Territorium«, »Land«, »Nation«, »Volk«, »Bindung«, »Tradition«, »Beschränkung«, »Grenze« in ihrer eigenen Begrifflichkeit und auf ihre Weise zu definieren und selbst zu entscheiden, was »fortschrittlich« ist und was nicht. 6
Aber weil dieser Politikbegriff per se utopischer Natur ist, muss man sich gleichsam an seinem Feind festklammern – während man doch alles daran setzt, diesem Voldemort keine Plattform zu bieten. Wenn das Zum-Schweigen-Bringen des Leugners zum Antrieb der eigenen Rede wird, befindet man sich in einem Spiegelkabinett – und das wiederum bedeutet, dass man die Sache, um die es doch eigentlich gehen sollte, einem identitären Phantasma, einer Reinheitsvorstellung oder einem Glaubensartikel geopfert hat. Nicht zufällig besteht der Preis – und darauf weist Pielke mit seiner Aufgabenzuordnung des Honest Broker hin – darin, dass man das wissenschaftliche Ethos (und die ihm innewohnende Bescheidenheit) gegen eine Form der politischen Theologie eintauscht – und damit zerstört, was doch allein die Legitimität der Wissenschaft ist und sein kann: Die Bereitschaft, sich immerfort eines Besseren belehren zu lassen.
An genau dieser Stelle setzt mein persönlicher Unglaube an. Wie die mittelalterlichen Glaubensstreitigkeiten sich an einem geistigen Fremdkörper entzündeten (der sich entfaltenden kapitalistischen Logik), erscheint mir die zeitgemäße Klimadebatte zutiefst eskapistisch: ein geistiges Himmelfahrtskommando, das vor allem dem Zweck dient, sich mit den Zumutungen einer komplexen Welt nicht beschäftigen zu müssen. Welch fatale Auswirkungen dies hat, wird sichtbar, wenn man sieht, dass viele der praktischen Lösungsoptionen im Diskurs nicht erscheinen, ja, wenn sie nicht überhaupt unbekannt sind (wie etwa die Tatsache, dass 30% der CO2 Emissionen auf die Betonfertigung zurückgehen - und aus diesem Grunde der masseärmere Leichtbeton eine Lösung wäre).
Markantester Ausdruck dieser Gegenwartsvergessenheit ist der Umstand, dass sich die Eiferer der zugrundeliegenden Episteme nicht bewusst sind. Dass der Club of Rome ebenso wie Dennis Meadows „Grenzen des Wachstums“ auf die Computersimulationen des Jay Forrester zurückgehen, ja, dass letztere (die sich auf gerade fünf Variablen stützte) der Modellierung nicht gerade zur Zierde gereichten, ist so wenig bekannt, wie man sich klar macht, dass auch ein solches Programm nichts anderes sein kann als eine Extrapolation gegenwärtigen Wissens, ein Strategiespiel, wenn man so will. Hätte man die Prognosen ernst genommen, die Meadows mit seiner »Bombe im Taschenbuchformat« zündete (wie die Zeit titelte), hätte man, um das Unheil abzuwehren, zu einem Staatsautoritarismus Zuflucht nehmen müssen – etwas, was in den apokalyptischen Szenarien der Gegenwart erneut die Köpfe beschäftigt. Was man darüber vergisst (und was der Schöpfer der Simulationstechnik, Jay Forrester, nicht müde wurde zu betonen), ist, dass man es letztlich immer noch mit einem menschlichen Faktor zu tun hat. Nimmt man diese Perspektive ein, so hat man es bei den Computermodellen nicht mit der Wissenschaft zu tun, sondern einer Disziplin, die ihren Adepten vor allem die eigene Fehlbarkeit demonstriert. Heißt das, dass man die Hände in den Schoß legen sollte? Nein. Aber es bedeutet, dass man sich davor hüten sollte, das eigene Weltbild mit einem Voldemort abstützen zu wollen.
Es ist bemerkenswert, dass dies Zeile in Edmund Spensers The Faerie Queene von 1590 vorweggenommen wird: Then faire grew foule, and foule grew faire in sight – was darauf schließen lässt, dass man es mit einem durchaus verbreiteten Zeitempfindens zu tun hat.
Martin Burckhardt: »Schein und Wahn«. In: Lettre international.
Die Geburt des Fegefeuers ist insofern ein wunderbares Exempel, als der Grund, der die Christenheit zum Umbau ihrer Himmelsarchitektur schreiten ließ, die Einführung des Zinses war.
https://thebreakthrough.org/issues/energy/why-joe-romm-wont-debate-roger-pielke-jr
Carl Schmitts »Begriff des Politischen« lässt sich als das eigentliche Brevier der Identitätspolitik lesen, sagt er doch, dass die Begriffe Freund und Feind als Amalgam zu lesen sind, mit dem sich eine Ingroup etablieren und zugleich von einer Outgroup abgrenzen lässt: »Die Unterscheidung von Freund und Feind hat den Sinn, den äußersten Intensitätsgrad einer Verbindung oder Trennung, einer Assoziation oder Dissoziation zu bezeichnen.«. Carl Schmitt: Der Begriff des Politischen, München 1932, S. 14.
Bruno Latour/Nikolaj Schultz: Zur Entstehung einer ökologischen Klasse Ein Memorandum. Berlin 2022, S. 39.