Es ist nicht so, dass mir Robert Habeck unsympathisch wäre. Im Gegenteil. Politisch freilich verrät das, was sein Ministerium in die Welt gesetzt hat, eine Übergriffigkeit, die alles in den Schatten stellt, was ich in meiner Lebenszeit an Regierungseingriffen gesehen habe. Von daher stellt sich die Frage: Wie kommt es dazu? Nun hat sich Robert Habeck auf der letzten Re:publica mit Johnny Häusler über die Klimapolitik unterhalten – und mit einer kleinen Bemerkung tief blicken lassen: Denn er erinnerte daran, wie sich das Smartphone durchgesetzt habe: Und wupps, da war es da!
hier bei Minute 2‘54‘‘
Nun ist die Wurschtigkeit dieser Formulierung kein Lapsus, sondern spiegelt eine Überzeugung wider, in der sich die politische Philosophie seiner Lehrmeisterin Mariana Mazzucato zu erkennen gibt. Ihr folgend spricht Habeck die Hoffnung aus, dass der Staat, auf die gleiche Weise, wie er zur Smartphone-Revolution beigetragen habe, nun seinerseits die Große Transformation zu einer dekarbonisierten Industrielandschaft bewerkstelligen könne. Weil unüberhörbar ist, dass man es hier mit einem Blueprint der politischen Agenda zu tun hat, gilt es der dahinterstehenden Theorie ein paar Gedanken zu widmen. In ihrem Buch The Entrepreneurial State (welches im Deutschen den Untertitel »Eine andere Geschichte von Innovation und Wachstum« trägt) stellt sich Mariana Mazzucato die Frage, worin die Vorbedingungen für die Smartphone-Revolutionen bestanden haben – und konstatiert, dass die GPS- , die Touchscreen-Technologie und das Internet auf Regierungsförderung zurückgehen.
Zweifellos stellt die Vorstellung, die digitale Revolution sei den Köpfen irgendwelcher Garagentüftler entsprungen, eine romantische Verklärung, wenn nicht überhaupt eine Torheit dar; und unzweifelhaft ist, dass der private Sektor keinesfalls so wagemutig und zukunftstrunken war, wie seine entschiedenen (zumeist neoliberalen) Verfechter behauptet haben. Ganz im Gegenteil: Nimmt man die Asset Backed Securities der 2000er Jahre in den Blick (CDO, CDS), könnte man der Meinung anhängen, dass die Finanzindustrie die Stiftung fiktiven Kapitals (vulgo: das Drucken des Geldes) dem mühsamen Wirtschaftskreislauf vorgezogen hat – weswegen man die selbsternannten Masters of the Universe sehr viel treffender als eine Herde risikoscheuer Lemminge auffassen sollte, die gemeinsam auf einen Abgrund zu gestürmt sind. Von daher ist Mariana Mazzucatos Kritik durchaus berechtigt – wäre die digitale Revolution nicht denkbar gewesen ohne die Förderung durch das amerikanische Militär, die DARPA, das Verteidigungsministerium, das Manhattan Project. Mazzucatos Schlussfolgerung jedoch, dass der Staat der bessere Unternehmer sei, zeugt von einer verwegenen Unkenntnis der konkreten Entwicklung. Letztere nämlich rechtfertigt keinesfalls ein Vertrauen in die staatliche Planung, im Gegenteil. Zwar mag der retrospektive Blick die Geschichte als sinnhafte Ereigniskette deuten, aber analysiert man die konkreten historischen Situationen, fällt das Weichbild sehr viel schillernder aus. Bis zu dem Augenblick jedenfalls, da mit Vannevar Bush ein Computerpionier die wissenschaftliche Koordination des Manhattan Projects übernahm, wäre es keinem der Herrschaften aus dem Kriegsministerium eingefallen, schwer zu kontrollierende Eggheads mit Aufgaben und Geldern zu betreuen – sowenig wie das Militär die Entwicklung des DARA-finanzierten Arpanets favorisiert hätte. Und was für die Militärs galt, galt auch für die tonangebende politische Schicht. Fast immer befand sich die classe politique auf der falschen Seite der Geschichte. Dies ist umso weniger verwunderlich, als der Mangel an Einbildungskraft nicht einmal vor den Propagandisten der Entwicklung selbst Halt macht, den Nerds der Computerkultur. Dass der Kopiererhersteller Xerox, welcher in den frühen Siebziger Jahren den ersten Personal Computer gefertigt hatte, den Xerox Alto, nicht zum größten Computerhersteller der Welt avancierte, hat schlicht und einfach damit zu tun, dass die Manager des Konzerns, als sie der Nerds angesichtig wurden, die dort in lässiger Kleidung und Birkenstock-Sandalen auf Keyboards herumtippten, der Meinung waren, dass diese „Frauenarbeit“ erledigten – kurzum keiner Arbeit nachgingen, die ökonomisch von Nutzen und profitabel sein könne.
Noch radikaler freilich ist die Geschichte des Robert Metcalfe, dem in den frühen 70ern die Aufgabe zugefallen war, die Computer von Xerox Park miteinander zu vernetzen. Erstaunlicherweise jedoch war keiner seiner Mitarbeiter von dieser Vernetzungslogik begeistert. Und warum? Die Antwort ist einfach: Wenn mein Desktop meine persönliche Arbeit von mehreren Monaten gespeichert hat, bedeutet Vernetzung, dass mein Nachbar sich mit einem Mausklick in ihren Besitz bringen kann. Und weil dies mit einem Bruch des Eigentums einhergeht, taten selbst die Nerds alles Erdenkliche, dass Ethernet-Projekt Metcalfes scheitern zu lassen. Metcalfe freilich setzte sich durch – und der Erfolg der Vernetzung brachte alle erdenklichen Innovationen hervor, z.B. das @-Zeichen, mit dem die Mitarbeiter von Xerox Park einander Emails zu schreiben begannen. Ungeachtet der Tatsache, dass jeder das Netz zu nutzen begann, erfolgte die Akklamation seiner Nützlichkeit erst, als es ausfiel – und binnen fünf Minuten die ganze Mitarbeiterschar in Metcalfes Büro erschien und fragte: Wo ist das Netz?
Lässt man sich ernsthaft auf die Geschichte der Digitalisierung ein, so wird man mit einer Serie von Paradigmenwechseln konfrontiert – die in der obigen Szene wunderbar präfiguriert sind. Wenn hier eine Krise des Eigentums, der Arbeit, ja, des Individuumsbegriffs durchscheint – und wenn dieser selbst die Propagandisten dieser Entwicklung affiziert, liegt der Gedanke nahe, dass man es mit einem tiefgreifenden Wandel des Weltbildes zu tun hat, einem Wandel, der sich zudem weitgehend unbewusst abspielt. Wenn Mariana Mazzucao schreibt: Der Erfolg dieser Technologien verdankt sich vielmehr vor allem der Weitsicht des amerikanischen Staates,1 so grenzt dieses Statement an eine Form der Irreführung. Mit gleichem Recht nämlich ließe sich argumentieren, dass jede Leistung, die mit Geld entgolten wird, auf den Staat zurückginge - weswegen ihm, als Stifter des fiat-Geldes, das eigentliche Urheberrecht zukäme. Wie verwegen der Traum eines Robert Habeck ist, als kreativer Zerstörer à la Schumpeter eine neue disruptive Phase in der Entwicklung der postmateriellen Gesellschaft einläuten zu können, wird sichtbar daran, dass bereits die Grundfragestellung der Energiewende, und zwar von Anbeginn, verpasst worden ist – und dies gleich auf mehreren Ebenen. Worum es sich handelt, ist insofern ein Novum, als die klassische Top-Down-Versorgung mit einer dezentralen Bottom-Up-Logik verschmolzen wird – und der klassische »Endverbraucher« nun als Hybrid aus Erzeuger und Verbraucher (als Prosumer, wie Jeremy Rifkin diesen Typus genannt hat) in Erscheinung tritt. Bedeutet schon dies eine enorme Verflüssigung, so wäre der erste Schritte der avisierten Energiewende ein informatisches Layer gewesen, in dem zu jedem Zeitpunkt ermittelt werden kann, wer wo wieviel Energie einspeist oder verbraucht. (Und hätte man dies mit dem Versprechen verbunden, dass der Konsument eine zehnprozentige Ermäßigung auf seine Stromrechnung erhält, hätte es jener Strafandrohungen, die derzeit ausgesprochen werden, nicht bedurft). Ein zweiter Punkt, der dafür gesprochen hätte, sich zuallererst mit der Konstruktion eines solchen Smart Grids zu beschäftigen, hängt damit zusammen, dass die erneuerbaren Energien dem System eine Flatterhaftigkeit aufbürden, welche sich nur über ein solches informatisches Layer im Griff behalten lässt. Nun ist evident, dass eine solche Netzarchitektur (Stichwort Datenschutz) einen politischen Sprengstoff darstellt, bei dem das Verhältnis von individuellem Interesse und Gemeinwohl von Grund auf neu gedacht werden muss. Weder ist eine solche Überzeugungsarbeit geleistet worden, noch sind die materiellen, geistigen, politischen Implikationen eines solches Netzes durchbuchstabiert worden. Dass die Politiker sich bis heute nicht darüber im Klaren sind, dass die proklamierte Energiewende nichts anderes bedeutet als die Stiftung eines energetischen Internets, lässt sich nicht anderes als eine Form des Wirklichkeitsverlusts begreifen. Und an genauer dieser Stelle wird die Argumention der Mariana Mazzucato politisch bedenklich: Was hier aufscheint (und in Deutschland zu einer Form des Regierungshandelns geworden ist), ist ein Primitiv-Etatismus, der, auch wenn er sich in ein Hipster-Flair hüllt, letztlich zur Rückkehr des preußischen Obrigkeitsstaates führt – mit dem Unterschied, dass man die preußische Maschinenbegeisterung durchs Pathos der Weltenrettung ersetzt hat. Wie hat Emmanuel Geibel sein Gedicht Deutschlands Beruf enden lassen?
Und es mag am deutschen Wesen / Einmal noch die Welt genesen.
Bitte nicht!
Mariana Mazzucato: Das Kapital des Staates. Frankfurt/M./ New York 2018, S. 216.