Warum ein Selbstversuch mit DALL-E? Vielleicht, weil das Leben lebensgroß ist und der klarste Blick auf eine Sache sich nicht irgendwelchen Sekundärquellen, sondern der eigenen Erfahrung verdankt. Was DALL-E ist, ist schnell erklärt. Es ist die visuelle Anwendung von Open AI, welches vor allem in Gestalt von ChatGPT eine dunkle Fama erworben hat – nur dass diese vergessen lässt, dass die eigentliche Revolution dieser Entwicklung darin liegt, dass sie dem Nutzer Hilfsmittel an die Hand gibt, die bis dato unerhört, ja, unvorstellbar waren. Nämlich dass man über den Einsatz von Sprache, über die reine Einbildungskraft, Bilder erzeugen kann. Letztlich hat man es mit jener Situation zu tun, wie wir sie am Beispiel von Marcel Duchamps Fountain deutlich gemacht haben.
Der Gedanke, dass die Bildproduktion sich vollkommen vom Handwerk ablösen kann, ist etwas höchst Irritierendes – gleichwohl eine Realität, die über kurz oder lang den Blick auf die Bilder, wenn nicht unser Weltbild verändern wird. Auf kuriose Weise kehrt hier eine Betrachtungsweise wieder, die aus der mittelalterlichen Zeichentheorie herrührt. Dort stellten sich die Scholasten die Frage, ob es im Felde der Zeichen eine Rangfolge gäbe. Hat die Renaissance diese mit der Primordialiät der Bilder beantwortet (Leonardo da Vinci gibt sich in seinem „Buch über die Malerei“ alle Mühe, die Malerei als die große Schwester der Musik darzustellen), deutet die Denkweise der Scholastik in eine ganz andere Richtung. Denn dort war man der Meinung, dass einem Zeichen eine umso höhere Bedeutung zukomme, je näher es bei Gott sei. Folglich wohnt dem Gedanken, insofern er unstofflich ist, eine beinahe göttliche Bedeutung inne. Dem folgt das gesprochene Wort – dann das geschriebene, und zuguterletzt erst kommt das gemalte, getöpferte oder sonstwie geformte Abbild. In welchem Maße noch die zeitgemäße Kulturwissenschaft diesem Phantasma huldigt, wird deutlich daran, dass man in den 90ern noch einen visual turn ausrufen konnte. Aber weil sich das Rad der Zeit verlässlich weiterdreht, ist diese Drehung des Geistes einem gnädigen Vergessen überantwortet worden. Denn wenn es bei all diesen Drehungen ein Kontinuum gibt, so liegt es darin, dass die Bewegung zur Abstraktion hin fortschreitet.
Nun aber zur Sache! Was macht man, wenn man DALL-E ein Bild entlocken möchte? Man gibt einen Text in ein Eingabefeld ein – und wartet darauf, dass der Verdauungsapparat der Künstlichen Intelligenz, die Mega-Fountain sozusagen, irgendetwas Passables ausspuckt. Was sich in einer solchen Konstellation anbietet, ist, aus nachvollziehbaren Gründen, eine Darstellung, mit der die Realität selbst nicht aufwarten kann. Also lautete die erste Aufgabe für die AI: “Zeig uns ein hölzernes Rad, dessen Speichen aus menschlichen Körpern bestehen” - eine Aufgabe, die folgendes Resultat zeitigt:
Man ahnt, wie ein solches Bild hat zustande kommen können - und stellt sich die Frage, was passiert, wenn man die Abfrage etwas variiert und im Zentrum die maskenhafte Darstellung einer Gottheit ansiedelt. Und damit das Ganze eine etwas zeichenhaftere Darstellung bekommt, transponiert man es in die Welt der ›Primitiven‹ hinein:
Der Wunsch, sich dieses Bild in barocker Manier zeigen zu lassen, führt zu etwas sonderbaren Ergebnissen:
Eine Zeitreise zurück ins 14. Jahrhundert ergibt folgendes Resultat:
Lässt man sich weitere Variation anzeigen, bekommt man folgendes zu sehen:
Da man sich schon im Ornamentalen befindet, könnte man danach fragen, wie sich das Ganze im klassisch-griechischen Stil ausnimmt:
Weil die Darstellung der Körper einige Rätsel aufwirft (und weil DALL-E, aus politischer Korrektheit, auf das Wort “Körper” gereizt reagiert), kommt der Gedanke ins Spiel: Wie sähe das Bild aus, wenn man es mit einem Totenkopf zu tun hätte und die Speichen tatsächlich Knochenform hätten? Und natürlich lässt die Antwort keine Minute auf sich warten:
Nun verleitet das Ergebnis dazu, gleich mehrere Variationen anzufordern – wobei die Software, auf den Photorealismus abonniert, eine Lösung anbietet, die der haitianischen Voodoo-Kultur entnommen zu sein scheint:
Wie aber sähe das Menschheitsrad aus, wenn man es beispielsweise mit den Augen eines Pieter Breughel betrachtet?
Oder Max Ernst?
Oder man fragt danach, wie wohl ein Marc Chagall den Auftrag für ein solches Kirchenfenster ausgeführt hätte:
Und weil man damit unversehens zurück in den Raum katapultiert worden ist, liegt die Frage nahe: Wie sieht dies aus, wenn man sich eine solchermaßen gestaltete Kuppel zurückgeben lässt? DALL-E gibt folgendes, höchst sureales Bild zurück:
Und die folgenden Variationen:
Je intensiver man sich auf das Spiel der Zeichen einlässt, desto mehr löst sich der Geist von dem ursprünglichen Konzept. Wie unweigerlich beginnt das Spiel der freien Assoziationen. Und deswegen ist es fast eine Zwangsläufigkeit, dass man von der Anfangsidee abrückt und den menschlichen Körper durch etwas anderes ersetzt, durch Insekten zum Beispiel.
Was dem Ganzen jenen Anstrich gibt, wie er uns aus den Wunderkammern der Wissenschaft vertraut ist:
Oder man stellt sich vor, dass die verehrte Wesenheit, die im Zentrum des Menschengetriebes steckt, keine Gottheit mehr ist, sondern ein Popstar - und dass die Speichen Gitarrenform haben:
Wenn der Selbstversuch mit DALL-E eines lehrt, so dass ein handwerklicher Zugang zur Bildproduktion demodé ist - und dass die eigentliche Batterie der Bildproduktion in der Einbildungskraft liegt. Nimmt man dies in den Blick, zeigt sich, dass die derzeitige Debatte um die Künstliche Intelligenz, dort jedenfalls, wo sie die Frage der Ersetzbarkeit des Menschen aufwirft, an der eigentlichen Aufgabe vorüber geht. Nein, es geht nicht darum, dass der Mensch durch eine künstliche Intelligenz ersetzt werden soll. Um mit einer solchen Wunschmaschine umgehen zu können, bedarf es vielmehr eines neuartigen Bildungsprogrammes, das auf die Entfesselung der Einbildungskraft abzielt. Wie schon die Studentenrevolte skandiert hat: L’imagination au pouvoir.