Norbert Elias hat in seinem Nachdenken über Die höfische Gesellschaft das Bild des Höflings gezeichnet, der, sozial und ökonomisch entwurzelt, im höfischen Leben Versailles’ eine Art Ersatzbestimmung gefunden hat. Ruft man sich die grotesken Verrenkungen in Erinnerung, zu denen die Etikette die Höflinge veranlasste, stellt sich die Frage, worin der eigentliche Sinn dieser Zeremonien lag. Als ein besonders absurdes Beispiel zitiert Elias die Ankleidelogik der Monarchen. So gab es unter den Hofdamen eine strenge Hierarchie, welche Hofdame autorisiert war, der Königin das jeweilige Kleidungsstück zu überreichen:
Einmal also war die Königin gerade von ihren Damen ganz ausgekleidet worden. Ihre Kammerfrau hielt das Hemd und hatte es soeben der Hofdame präsentiert, als die Herzogin von Orléans eintrat. Die Hofdame gab das Hemd der Kammerfrau zurück, die es gerade der Herzogin übergeben wollte, als die ranghöhere Gräfin von Provence dazu kam. Nun wanderte das Hemd wieder zu der Kammerfrau zurück und erst aus den Händen der Gräfin von Provence empfing es endlich die Königin. Sie hatte die ganze Zeit nackt, wie Gott sie geschaffen, dabei stehen und zusehen müssen, wie die Damen sich mit ihrem Hemd bekomplimentierten.1
Nun stellt diese Etikette, wie Elias bemerkt, ein gespenstisches Perpetuum mobile dar, »das unabhängig von jedem unmittelbaren Nutzwert weiter bestand und weiter lief, weil es, wie von einem unerschöpflichen Motor, von der Konkurrenz um Status- und Machtchancen der darin verstrickten Menschen im Verhältnis […] fort und fort getrieben wurde«. Wenn Pierre Bourdieu, im Anschluss an Elias, den Streit um Prestige und Status als eine Form des symbolischen Kapitals begriffen hat2 , ist evident, dass man hier einem ins Symbolische übertragenen Geldsystem gegenübersteht – worauf noch Hugo von Hofmannsthal in seiner Erinnerung an die bürgerlichen Manieren rekurriert:
Wer im Verkehr mit Menschen die Manieren einhält, lebt von seinen Zinsen, wer sich über sie hinwegsetzt, greift sein Kapital an.
Zweifellos: Der Motor der höfischen Gesellschaft ist die Etikette, die jede Bewegung, jeden Blick, jede Geste steuert. Folgt man ihn ihr, kann man im Hochgefühl der Exklusivität baden – während die Welt, die sich jenseits der Grenzen des Parks (der Etikette, der besseren Gesellschaft) auftut, als Wüstenei abqualifiziert wird. Nun wäre es allzu einfach, die höfische Etikette im historischen Abstand kurzerhand als eine Form der Dekadenz abzutun – übersähe man doch, dass ein Ausschluss aus diesem Zwangssystem den sozialen Tod bedeutete. In diesem Sinn ist der Höfling in ein Zwangskorsett eingehüllt, das nicht minder streng ist als die Entfremdung, die wir dem Kapitalismus anlasten.
Seine Zwänge sind bedrückend; aber selbst wenn der Käfig offen stünde, man könnte ıhm nicht entfliehen; denn die Bindungen, die den Höfling in der großen Welt gefangen halten, sind ein Stück seiner selbst. Er könnte zum Heim seiner Ahnen zurückkehren, aber das, was er sucht, könnte er dort nicht finden. Das freie ländliche Leben seiner Kindheit ist ein Traum geworden, wie seine Kindheit selbst.3
Man könnte dieses Zitat als Signatur dessen lesen, was man heutzutage ›Blase‹ nennt: das Vernetzt- und Verflochtensein in einen bestimmten Kommunikations-Zusammenhang, einer Gunstökonomie, bei der das wechselseitige Geben und Nehmen eine ebenso große Rolle spielt wie die scharfe Abgrenzung gegen eine als unzivilisiert und barbarisch abqualifizierte Außenwelt. Der große Vorzug der Elias’schen Sozioanalyse besteht darin, dass er die Stunde des Höflings mit seiner ökonomischen Depotenzierung zusammendenkt. Denn der Adel, der sich am Versailler Hof niederließ, verlor seine Macht und über kurz oder lang auch seine ökonomische Basis – und so bot sich die symbolische Währung der Etikette und des Prestiges als Surrogat an, welches als symbolische Währung für den tatsächlichen Macht- und Bedeutungsverlust entschädigte.4
Denkt man unter diesen Auspizien über die zeitgenössische Aufmerksamkeitsökonomie nach, fallen die Parallelen ins Auge. Denn viele der jüngsten Empfindlichkeiten lassen sich als eine Form der postmodernen Etikette auffassen – weswegen es kein Zufall ist, dass Begriffe wie Achtsamkeit, Sensibilität etc. Konjunktur haben. Und weil derlei Idiosynkrasien auch die classe politique erfasst haben, könnte man diese Blase als eine neue Form des Höflingswesens aufzufassen – eine Welt, die sich, depotenziert und funktionslos geworden, mehr mit der Befolgung ihrer Achtsamkeitsregeln als mit der Lösung wirklicher Probleme beschäftigt. Dies vor Augen, versteht man die Moralisierung der Politik und warum Empfindsamkeiten, Randgruppenfragen, Idiosynkrasien zu politischen Fragen ersten Ranges hochgejazzt worden sind, während man alles tut, um sich den Mühen der Ebene zu entziehen – als sei die wirkliche Welt dem Bewohner der Wolken-, nein des Wokenkuckucksheims so fern wie die Wüstenei, die sich unmittelbar hinter dem französischen Park auftut.
Moralische Empörung ist eine grundlegende Technik, um einem Idioten Würde zu verleihen. (Marshall McLuhan)
Tatsächlich ist der Wirklichkeitsverlust der Herrschenden tagtäglich zu bestaunen. Dass sich die classe politique über Jahrzehnte die Erosion des Bildungswesens, die Probleme der Migration, aber auch der selbstverfügten Energiewende hat schönreden können, bezeugt, dass das Regieren auf Sicht einer Kurzsichtigkeit, ja, einer Form der kollektiven Verblendung zugearbeitet hat. Und dies wiederum hat dazu geführt, dass sich Symbole an die Stelle von Realitäten gesetzt haben (besonders sichtbar an den diversen Exzellenzinitiativen, welche nicht verhindert haben, dass die ›Bildungsrepublik Deutschland‹ in eine gravierende Bildungskrise hineingeschlittert ist). Nun ist eine solche Symbolpolitik nicht bloß Beleg eines fortschreitenden Realitätsverlusts, sondern geht mit Fabrikation einer politischen Etikette einher, welche auf die nämliche Weise funktioniert wie das gespenstische perpetuum mobile der höfischen Gesellschaft. Wenn die politischen Ökonomie in der Bedeutungslosigkeit verschwunden ist und stattdessen Idiosynkrasien und Identitätsfragen die politische Debatte beherrschen, so ist dies ein präziser Indikator dafür, dass man es nurmehr mit symbolischen Kapital zu tun hat. Hier allerdings verdeckt der gern benutzte Begriff der Symbolpolitik seine wahre Bedeutung. Denn es sind vor allem diese Symbole, an denen die Akteure einander erkennen und über die sie ihre Revierkämpfe ausfechten. In diesem Sinn verheißt der Genderstern einen Distinktionsgewinn, ebenso wie die Entdeckung dieser oder jener *phobie den Sprecher als Angehörigen der Achtsamkeitsklasse ausweist, die mit Inklusivität, Diversität etc. sonderpädagogische Konzepte im politischen Diskurs etabliert hat. Nun mag die Verknüpfung des postmodernen Politikertyps mit dem Höfling irritierend anmuten. Strukturell freilich verrät der Diskurs der politischen Korrektheit eine erstaunliche Verwandtschaft. Wie der Höfling, geschminkt und gepudert, in Seide und Schwaden von Parfüm eingehüllt, hüllen sich die zeitgenössischen Höflinge in einen Pomp pseudophilosophischer Worthülsen ein, die, visualisiert, einen ähnlich grotesken Anblick bieten würden wie die überdimensionierten Allongeperücken, welche sich die Höflinge aufgesetzt haben. Folgt man der Etymologie des Wortes Etikette, gelangt man schnell zum Etikett – und von hier (über das französische estechier) zum Anstecker, also zu jenem aufgenähten oder angesteckten Erkennungszeichen. War Atomkraft, nein danke! das Erkennungszeichen der Post-68er-Generation, so war der grundlegende Systemzweifel die andere Grundüberzeugung. In diesem Sinn war der Anstecker so etwas wie ein Generationenklebstoff: konnte man damit die Identität einer Neg-Identität für sich reklamieren und sich der Überzeugung hingeben, ganz anders zu sein als die Altvorderen (weswegen die Ausstreichung der Vorgeschichte keinen Verlust, sondern eine Befreiung bedeutet). Dass und wie eine solche Verneinung zur sozialen Verbindlichkeit werden kann, lässt sich am folgenden jüdischen Witz wunderbar illustrieren.
Jom Kippur in der Synagoge. Der Kantor schickt ein persönliches Gebet gen Himmel: „Lieber Gott, Herr über Himmel und Erde, ich bin ein Nichts, ein Nichts!“ Als er das hört, lässt auch der Rabbiner ein ähnliches Gebet nachfolgen: „Oh Herr, ich bin ein Nichts, noch weniger als ein Nichts.“ Nun macht sich auch der Schammes, der Synagogendiener bemerkbar, und er schreit laut: „Auch ich bin ein Nichts, oh Herr, ein Nichts!“ Darauf der Rabbiner naserümpfend zum Kantor: „Schau mal, wer sich heutzutage schon für ein Nichts hält.“
Nun betrifft dieser Umschlag nicht bloß die Exzesse der victim olympics, sondern ist gleichsam zum guten Ton avanciert. Folglich können diejenigen, welche ihre Glaubensüberzeugungen aus den allfälligen Dekolonisierungs- und Critical Justice-Diskursen herleiten, ihren Distinktionsgewinn aus der ostentativen Selbstgeißelung ableiten. In dem Sinn stellt der Sündenstolz, ja, die darin pulsierende Negidentität die höchste Form der Identitätspolitik dar.
Befolgt man die zeitgenössische Etikette, ist gleich ein Doppeltes erreicht. Zum einen ist man erfolgreich aus der Geschichte ausgestiegen, zum anderen mag man sich wie die Höflinge, nein, nicht der Gunst des Sonnenenkönigs, aber doch der Sonnenenergie erfreuen – was eine Form der höheren Weisheit gleichkommt. Tatsächlich drängt sich der Eindruck auf, dass die Verleugnung unerfreulicher Sachverhalte, ja, der politischen Ökonomie überhaupt, das Entréebillet darstellt, mit dem der Aspirant in den politischen Raum einziehen kann. In jedem Fall versteht man, dass und warum die Klimafrage (in ihrer apokalyptisch Spielart) zur vorherrschenden Ideologie hat aufsteigen können. Denn mit dem Hinweis auf die bevorstehende Katastrophe lässt sich eine Form der politischen Suprematie reklamieren. Und weil man hier nicht zufällig auf den Dezisionismus Schmitt’scher Prägung rekurriert, bewegt man sich im Register der politischen Theologie. Von daher ist es durchaus verständlich, dass die Leiterin des Climate Emergeny Fund, Margaret Klein Salomon, den Ausnahmezustand als eine Form des ästhetischen Flows begrüßt – und damit einen kollektiven Zustand herbeimaginiert, der bislang, als entfesselte Einbildungskraft, nur dem künstlerischen Genie vorbehalten war. Gewissermaßen stellt der Notstand ein Moment der ekstasis dar, eine bewusstseinserweiternde Droge, mit der man sich glänzend über die eigene Macht- und Ahnungslosigkeit hinwegtäuschen kann. Denkt man diese beiden Dinge zusammen (die Notwendigkeit eines Gruppenamalgams, über den sich das freie Radikal mit anderen vernetzt, dann die politische Etikette - als Exlusivitätsmerkmal, mit den man sich gegen den Pöbel angrenzt), begreift man, dass und wie die Aufmerksamkeitsökonomie hier die politische Arena erfasst hat. Weil der persönliche Distinktionsgewinn darüber läuft, dass sich der Betreffende den Anschein höchster Tugendhaftigkeit und Integrität zu verleihen weiß, ist jener moralische Wettbewerb angeworfen, bei dem die Kontrahenten einander mit kategorischen Superlativen überbieten. Mögen diese ins Absurde ausgreifen, so folgt dieses Gebaren doch der intrinsischen Logik des symbolischen Kapitalismus. In diesem Sinne ist Norbert Elias Bemerkung zur Bedeutung der Etikette höchst zutreffend.
Die höfische Etikette, die entsprechend den Wertmaßstäben bürgerlich-industrieller Gesellschaften als etwas recht Unwichtiges, bloß »Äußerliches« und vielleicht als etwas Lächerliches erscheinen mag, erweist sich, wenn man dem Aufbau der höfischen Gesellschaft seine Autonomie läßt, als ein höchst sensitiver Anzeiger und als ein höchst zuverlässiges Meßinstrument für den Prestigewert des Einzelnen im Netzwerk seines Beziehungsgeflechts.5
Was Networking heißt, und was man ehedem als Vitamin B oder als Seilschaft bezeichnet hat, ist nichts anderes als die Bereitschaft, sich jener Etikette zu unterwerfen, welche Distinktion, Privilegien und Pfründen verspricht. Was der Grund ist, weshalb die Höflinge, wenn sie mit Inbrunst gegen Hass und Hetze anschreiben, dies allesamt auf ihren Twitter und Instagram-Accounts tun. Und mögen die Realitäten nicht den schönen Worten entsprechen – umso schlimmer für die Realitäten!
Nun ist es ein Leichtes, sich über die Verirrungen der zeitgemäßen classe politique zu belustigen, sehr viel komplizierter hingegen wird es, wenn man sich über die Gründe Klarheit verschaffen und die Frage beantworten möchte, wie ein solches perpetuum mobile die Köpfe hat erobern können. Die Anfänge dieser Entwicklung gehen weit zurück – und haben mit der zunehmenden Bedeutungslosigkeit der nationalstaatlichen Entitäten zu tun. Wie dereinst die mittelalterlichen Feudalwesen sich zu löchrigen Einheiten verwandelten6, wurden die Nationalstaaten durch die Weltfinanzmärkte, dann durch Globalisierung und Digitalisierung zunehmend geschleift und gelöchert. Verfolgte die Politik der 1990er und 2000er Jahre noch das Ziel, sich beim Standortwettbewerb der Nationalökonomien gewisse Vorteile zu sichern, ging es nach der Finanzkrise nurmehr um die Aufrechterhaltung des status quo, genauer: des Scheins. Konnte der große Grantler Thomas Bernhard noch über sein Vaterland ätzen (»Dieses Land ist das Papier nicht wert, auf dem seine Prospekte gedruckt sind«), hat sich die classe politique darauf verständigt, ihre Souveränitäts-Illusion über die Druckerpresse aufrechtzuerhalten. In diesem Sinn könnte man von einer Form des paradoxen Etatismus sprechen, einer Staatsgläubigkeit, bei der man das, was man doch unablässig kritisiert hat, am Leben zu halten versucht. Der Grund ist simpel: Wie der Hof des Sonnenkönigs seinen Höflingen Unterhaltung und Privilegien versprach, stellt das Staatsamt eine überaus einträgliche Pfründe dar. Folglich versuchen die Aspiranten sich in staatlichen Vorfeldorganisationen oder im Parlament einen Platz zu sichern. Allerdings besteht das eigentliche Ziel nicht in der Gestaltung des Wirtschaftsgeschehens oder des politischen Raumes, sondern darin, dass man sich eine einträgliche Pfründe zu sichern vermag – oder wie schon Max Weber bemerkt hat: Man lebt nicht mehr für, sondern von der Politik. Folglich stellt die Verabschiedung des Realitätsprinzip kein größeres Problem dar. Im Gegenteil. Denn hat man die politische Ökonomie einmal hinter sich gelassen, kann man sich gewissermaßen der reinen Form überlassen, geht es nurmehr darum, dass man das entsprechende Aufmerksamkeitskapital akkumuliert. Wenn der Schein alles ist, nimmt es nicht wunder, dass das real existierende Personal sich vor allem durch Selbstverliebtheit auszeichnet, ja, dass Telegenität und Talkshow-Schlagfertigkeit Grundvoraussetzungen einer erfolgreichen Politikerkarriere darstellen. Die dunkle Seite dieser Logik ist, dass sie narzisstische Persönlichkeiten anzieht – wovon die Liste falscher Doktoren, Prätendenten und Plagiatoren ein beredtes Zeugnis abgibt. Sehr viel bemerkenswerter als die individuellen Charakter- oder Bildungsdefizite jedoch ist der Umstand, dass die Etikette ihrerseits eine gewisse Eigendynamik annimmt – ja, dass sie als gespenstisches perpetuum mobile zum Betriebssystem des Apparates selbst wird. Wie der realexistierende Kapitalismus beständig Gefahr läuft, sich in allerlei Finanzkatastrophen zu verlieren, tendiert auch die politische Etikette zur Blasenbildung – ja, sind es hier vor allem die allem moralischen Hasardeure, die im Übermaß davon profitieren (was erklärt, dass Fragen, die ehedem an den Extremen des politischen Spektrums aufgetaucht sind, nunmehr ins Zentrum vorgerückt sind). Konnte man anfangs die Moral unter Einkaufspreis als eine Form der Befreiung begrüßen, wird zunehmend sichtbar, dass auch die Etikette ihren Preis hat, ja, dass dieser höher und unbarmherziger ist. Denn weil jedes moralisch aufgeladene Argument ad hominem, also unter die Gürtellinie zielt, ist der Schritt zur moralischen Panik und zum Kulturkrieg nicht weit, ja, steht zu befürchten, dass die Revolution zuallererst ihre Kinder verspeist. In jedem Fall bewirkt das Symbolkapital, dass der politische Raum selbst immer prekärer wird - ja, dass die Gefahr, sich durch eine verrutschte Bemerkung oder einen missglückten Tweet ins Abseits zu schießen, allgegenwärtig ist. Und wie die Klima-Apokalypse auf ein letztes Gericht ohne Vergebung und Gnade hinausläuft, fordert die Etikette Wokistans den Ausschluss des Delinquenten – in Echtzeit (was auf die Wiederkehr des Standgerichts hinausläuft). Demgemäß unterscheiden sich die Zwänge des Politdarstellers nur unwesentlich von denen des Höflings: denn »selbst wenn der Käfig offen stünde, man könnte ihm nicht entfliehen«; sind die Bindungen, die ihn in der großen Welt gefangen halten, längst zum integralen Stück seiner selbst geworden.
Norbert Elias: Die höfische Gesellschaft. Untersuchungen zur Soziologie des Königtums und der höfischen Aristokratie, Darmstadt 1975, S. 132.
Pierre Bourdieu: La Distinction. Critique sociale du jugement. Paris 1979.
Ebenda, S. 340.
Auch wenn Louis XIV von seinen Höflingen auf fast groteske Weise angehimmelt wurde, war das höfische Treiben eine Art Schleier, der den Blick auf die faktische Veränderung der politischen Ökonomie verstellte. Denn mit der Depotenzierung des Adels gewann die kapitalistische Geldwirtschaft und das Bürgertum ständig an Bedeutung. Der mächtige Finanzminister Colbert, der dem Merkantilismus der Epoche seinen Namen aufprägte, war selbstverständlich ein Bürgerlicher.
Vgl. ebenda, S. 19.
Der Mechanismus ist simpel: Mit der entstehenden Geldwirtschaft kauften sich die prosperierenden Städte aus ihren feudalen Verpflichtungen frei – mit der Folge, dass die feudalen Gebilde, wie ein Schweizer Käse, bald aus mehr Löchern bestanden denn aus Substanz.