Im Paradies des wirklichen Lebens
Der Surfer
Tatsächlich schien dem jungen Mann, der in Austin, als zweites Kind des Ehepaars Lyn und Kirk Ulbricht geboren und aufgewachsen ist, ein anderes Schicksal zu winken als das, was dem finsteren Dread Pirate Roberts beschieden sein sollte. Das Kind, das der Mutter so friedlich und ausgeglichen vorkommt »wie ein kleiner Buddha«, verlebt eine glückliche Kindheit in Austins Suburbia. Die Familie ist nicht reich, aber doch so begütert, dass man in sich Lakeway niederlassen kann, einem Stadtteil, wo sich neben lauter schmucken Einfamilienhäusern hinter Bäumen und Gärten Golfplätze und Wellness-Anlagen finden. Der kleine Ross begeistert sich für die Pfadfinderei und wird zum Eagle Scout. In den Ferien fährt man nach Costa Rica, wo die Eltern solarbetriebene Ferienhäuser besitzen, die an Touristen vermietet werden. Sein Vater bringt ihm das Surfen bei. Lange Zeit interessiert sich der Sohn nicht für Computer, sondern versenkt sich in Comics, zieht es vor, zu zeichnen und in der Natur herumzutollen. In der Teenagerzeit folgen die üblichen High School Scherze, Freundinnen, der Genuss von Marihuana. Seinen Kameraden gilt Rossman als lässiger, allseits beliebter Hippie, der sich gleichwohl durch eine hohe Intelligenz auszeichnet. Nach der High School studiert er Physik an der University of Texas in Dallas, nach dem Bachelor erhält er ein Stipendium für die Penn State University in Philadelphia. Dort ist er Assistent an der School of Materials Science and Engineering, wo er sich mit der Züchtung von Nanokristallen beschäftigt und bei seinem Professor Darrell Schlom seine Masterarbeit schreibt. Während des Studiums begegnet er der libertären Weltanschauung, die, als vielleicht verlässlichster Lebensbegleiter, auch seine psychische Wandlung zum Dread Pirate Roberts überdauern wird. Er liest das libertäre Manifest des Murray Rothbard, »For a new Liberty. The Libertarian Manifesto,« im Denken der österreichischen Schule, den Staat als den Feind aller Freiheit ausgemacht hat und macht sich im Wahlkampf 2008, als begeisterter Anhänger, für den Kandidaten Ron Paul stark. Schwer zu sagen, ob sich seine Liebe zur Freiheit als politische oder nicht vielmehr als eine existenzielle Lebenshaltung niederschlägt: auf jeden Fall verträgt sich das Moment der Entgrenzung mit einer Begeisterung für die östliche Philosophie und die westafrikanische Djembé-Trommelei. Bei einer der Sessions lernt er eine junge Frau kennen, eine 18-jährige Fotografin, in die er sich heillos verliebt. Nach seiner Masterarbeit 2009 zieht er nach Austin zurück, wo er mit seiner Freundin zusammenzieht. Aber die Beziehung ist stürmisch – ein stetes Auf und Ab. Nicht bloß beginnt sein Privatleben zu flattern, auch seine berufliche Orientierung bereitet ihm zunehmend Probleme. Haben ihn seine Erfahrungen mit der Nanotechnologie nicht davon überzeugt, einer wissenschaftlichen Karriere zu folgen, fühlt er sich nun zum Unternehmertum berufen. Allerdings sind seine ersten Schritte nicht von Erfolg gekrönt. Zunächst versuchte er sich als Daytrader, dann an einem Startup für Videogames. Schließlich fragt ihn sein Nachbar, der einen Handel mit gebrauchten Büchern in die Welt gesetzt hat, ob er nicht einsteigen möchte. Das Geschäftsmodell der Unternehmung ist simpel: Man will der bibliophilen Entrümpelung insoweit begegnen, als man gebrauchte Bücher in der Nachbarschaft einsammelt und über Amazon weiterverkauft. Um eine gute Geschichte erzählen zu können, bekommt der Good Wagon Books einen sozialen Anstrich verpasst: 10 % der Einnahmen sollen karitativen Zwecken zukommen.
Ganze 50.000 Bücher sammeln sich im Laufe der Zeit in einer Garage an, sorgsam in Regalen verstaut, die die Betreiber selbst gebaut haben. Über seinen lokalen Buchhandel schreit er in seinem Tagebuch:
»Donny und ich haben im letzten Quartal von 2009 daran gearbeitet und versucht Mitglieder dadurch zu gewinnen, dass Leute von Haustür zu Haustür gelaufen sind. Das war ein wahrer Kampf, aber am Ende unserer Partnerschaft war es klar, dass wir das Geschäft nicht bis zu dem Punkt hatten treiben können, dass es für mich Sinn gemacht hätte, daran festzuhalten.«
Der Augenblick, der das Ende der Unternehmung besiegelt, ist nachgerade symbolischer Natur: die Bücherregale brechen infolge zweier fehlender Schrauben zusammen – und in einem Dominoeffekt geht ein Regal nach dem anderen zu Boden. So ist die Sortierarbeit von Tagen und Monaten auf einen Schlag vernichtet. Da stand ich, mit nichts in der Hand. Meine Investmentfirma, meine Spielefirma, Good Wagon Books – alles lief auf nichts hinaus. Und während er, um nicht ganz abzustürzen, sich eine Weile als Lektor für eine wissenschaftliche Zeitung verdingt, überlegt, zu welchem Startup sein unternehmerischer Weg ihn führen wird.
Irgendwann, auf dem Tiefpunkt seiner unternehmerischen Aktivitäten, muss Ulbricht der Gedanke eines anonymisierten und auf der Bitcoin-Währung basierenden Shopsystems gekommen sein:
Die Idee war, eine Webseite zu erzeugen, wo die Leute alles mögliche einkaufen konnte, ohne eine Spur zu hinterlassen, die auf sie zurückverwies.
Passte dieses Vorhaben zu seiner libertären Weltanschauung, so waren seine Vorkenntnisse als Programmierer doch äußerst begrenzt. Weder war ihm klar, wie er einen eigenen Server betreiben noch wie er die Integration der Bitcoin-Library würde lösen können. Möglicherweise war es aber gerade diese Naivität, verbunden mit der Mischung aus Ehrgeiz und verwundetem Stolz, die ihn in dieses Unterfangen hinein stolpern ließ, ein Unternehmen, das schon im Ansatz größenwahnsinnige Züge trug. Allein die Tatsache, dass seine wesentlichen Komponenten (die Logik des Tor-Browsers wie die Bitcoin-Library) die kryptographischen Kenntnissen einer ganzen Generation versammelten, hätte einen professionellen Programmierer das Fürchten gelehrt, war es doch klar, dass man sich hier in ein Spiel mit lauter Unbekannten hineinstürzte. Ulbricht jedoch ging mit erstaunlicher Furchtlosigkeit an die Sache heran. Vielleicht lag das auch daran, dass die Geschäftsidee selbst in der Luft lag. Das Bitcoin-Netzwerk war am 3. Januar 2009 an den Start gegangen, ein Jahr später hatte sich das dazugehörige bitcointalk-Forum etabliert. Sehr bald schon keimten in den Köpfen der Leser allerlei Geschäftsideen, entbrannte eine heftige, gleichwohl überaus theoretische Diskussion darüber, ob man die Währung zum Vertrieb von Drogen nutzen konnte.1 Insofern war Ulbricht lediglich der Erste, der sich, gespeist von der Philosophie seiner libertären Vorbilder, dieser Sache annahm – auf eine so gläubige, überzeugende Art, dass ihm gelang, was einer bloß profitorientierten kriminellen Energie niemals gelungen wäre: nämlich das Vertrauen vieler, vieler Menschen zu gewinnen.
Allerdings beging er, in der Unsicherheit darüber, ob er dieses unerhörte Projekt überhaupt an den Start bringen könnte, in dieser Zeit all jene Fehler, die ihm später zum Verhängnis werden sollten. Dabei war sein Hauptproblem nicht einmal technischer, sondern vielmehr psychologischer Natur: die Unfähigkeit, so etwas wie eine vollständig abgespaltene Parallelexistenz denken zu können. Eines der ersten Probleme war die Mitwissenschaft eines guten Freundes, Richard Bates, dem er seit seiner Rückkehr nach Austin nähergekommen war – nicht zuletzt deswegen, weil Bates, als professioneller Programmierer dem Autodidakten Ulbricht behilflich sein konnte. Folglich wer es nicht verwunderlich, dass Ulbricht seinen Freund mit allen erdenklichen Programmierfragen behelligte. War ihm Bates zu Anfang noch behilflich, so gingen Ulbrichts Fragen allesamt in eine Richtung, die Bates, der ein eher penibler, puristischer Programmiertyp war, verdächtig vorkamen: als ob sein Freund es darauf angelegt hatte, sich in fremde Webseiten einzuhacken. Eine Zeitlang weigerte sich Ulbricht, sich über sein ultrageheimes Projekt auszulassen. Aber irgendwann stellte BaronSyntax (das war Bates' Pseudonym) seinen Freund Ross vor die Entscheidung, sein geheimes Projekt nicht mehr zu erwähnen – oder ihn aber darüber aufzuklären. Als ihm Ulbricht schließlich die Webseite der Silk Road zeigte, mit dem Logo des Kamels, den Fotografien der Drogen, dem Einkaufskorb, war Bates zwar schockiert, aber zugleich war da auch die Faszination des Verbotenen. So war er behilflich, als Ulbricht ihn kurz nach dem Start der Webseite, in Panik, erneut kontaktierte: sein Server war down, aber er wusste nicht warum. Bates, als verlässlicher Freund, kam zu Hilfe. Ulbrichts Angebot, Administrator der Seite zu werden, hingegen lehnte er ab – und begnügte sich stattdessen, die Unternehmung aus der Ferne zu beobachten.
Sehr viel heikler als die Mitwisserschaft des Freundes, der sein Geheimnis sorgsam hütete, waren die Spuren, die Ulbricht im Internet hinterließ. So nutzte er bei seinen Fragen, die er zur Programmierung von Tor, aber auch der Bitcoin-Library im StackOverflow-Programmiererforum postete, seinen Klarnamen, ebenso wie seine rossulbricht@gmail-com-Adresse nicht an Klarheit zu wünschen übrig ließ. Zwar änderte er sie alsbald, dennoch unterliefen ihm in den ersten Monaten immer wieder heftige Schnitzer. Diese Unfähigkeit zur Abspaltung wird in einem Tagebucheintrag problematisiert.
Ich ging mit Jessica aus, und unser Gespräch erreichte eine gewisse Tiefe. Ich fühlte mich gezwungen, mich ihr zu offenbaren. Das war schrecklich. Ich sagte ihr, ich habe Geheimnisse. (…) Es fühlte sich falsch an, so vollständig zu lügen, und so versuchte ich ihr die Wahrheit zu sagen, ohne die dunklen Seiten zu offenbaren. Jetzt habe ich den Schlamassel. Jeder weiß zu viel, verdammt!
Wieder und wieder hinterließ er Spuren. So war es Gary Alford, dem Agenten, der zwei Jahre später auf die Enttarnung des Silkroad Gründers angesetzt worden war, ein Leichtes, seine Camouflage zu enttarnen. Alfords Kalkül war simpel: Selbst wenn die Silk Road in den Tiefen des Netzes verborgen lag, so musste es in der Anfangszeit doch Hinweise auf diese verborgene Adresse geben – und diese Hinweise mussten im öffentlichen Web ihren Niederschlag gefunden haben. Alford grenzte also den Zeitraum auf die Zeit vor der Popularisierung der Silkroad ein – und wurde, mit einer simplen Google Suche, auf einer psychotropen Pilzen gewidmeten Seite (namens shroomery.org) fündig, wo ein Nutzer namens altoid die Tor-Adresse des Silk Road kundtat. Der nämliche Nutzer hatte auch im Bitcointalk-Forum eine Spur zur Silk Road gelegt, um dann einige Monate später, als das Portal bereits eine Weile lief, unter der Überschrift IT pro needed for venture backed bitcoin startup einen professionellen Programmierer für sein Unternehmen anzuheuern. Interessenten sollten sich doch bitte an die Gmail-Adresse rossulbricht@gmail.com wenden. Tatsächlich musste Alford nur zwei und zwei zusammenzählen – um dem Dread Pirate Roberts einen bürgerlichen Namen zuzuordnen. Tatsächlich war der FBI-Agent keineswegs der Erste, der die Spuren zu lesen verstand. Als Ulbricht, ein gutes Jahr nach dem Start der Silk Road, sich selbst daran machte und seinen auf Ross Ulbricht deutenden stackoverflow-Account zu frosty änderte, gab ihm ein Twitter-Nutzer mit dem Hackernamen th3j35t3r den Rat: Dread Pirate Roberts. Stay Frosty. Dass Ross Ulbricht diesen Rat wörtlich nahm, ist nicht anzunehmen. Selbst das SSH-Passwort, das er für den Zugang zu seinem Server nutze, war identisch mit der Persona, die er auf der Programmiererplattform stack overflow genutzt hatte: frosty.
Im Laufe der Jahre 2010-2011 jedoch, als er sich an die Arbeit machte und sein Untergrund-Forum an den Start ging, konnte Ulbricht nicht ahnen, welch ungeheurer Erfolg der Silk Road beschieden sein sollte. Dabei war die Programmierung der Seite nicht seine einzige Schwierigkeit: Denn in der Unsicherheit, ob es überhaupt möglich sein würde, Verkäufer für seine Website zu begeistern, hatte er sich entschieden, selbst ein paar psychotrope Pilze anzubauen, in einem kleinen Ort vor seiner Heimatstadt, wohin es ihn nach seinem Master wieder verschlagen hatte. So würde die Seite beim Start zumindest einen Verkäufer haben. Tatsächlich gelang es ihm, neben seiner Programmierung, dem auslaufenden Buchhandelsprojekt und der strapaziösen Beziehung mit seiner Fotografen-Freundin, ein paar Kilogramm seiner Pilze anzubauen. Auf diese Weise jedenfalls konnte er das Wagniskapital genieren, das sein venture backed Startup nötig hatte. In seinem Tagebuch beschreibt er den Start seines Unternehmens folgendermaßen:
»Nur ein paar Tage nach dem Launch hatte ich die ersten Registrierungen, dann meine erste Nachricht. Ich war so aufgeregt, dass ich nicht wusste, was ich mit mir anstellen sollte. Langsam, aber sicher meldeten sich immer mehr Leute an, Verkäufer registrierten sich, und dann passierte es: Meine erste Bestellung. Ich werde es niemals vergessen. In den nächsten Monaten verkaufte ich über 10 Pfund meiner Pilz über die Seite. Einige Bestellungen bezogen sich nur auf ein paar Gramm, andere waren im qp-Bereich. Ziemlich bald war ich ausverkauft. Wenn ich zurückschaue, hätte ich meine Preise erhöhen und die Sache in die Länge ziehen sollen, aber auf jeden Fall war ich jetzt gänzlich digital, das stoffliche Risiko war verschwunden.«
Der Hinweis auf das Dilemma der Materialität war durchaus richtig – war doch der Versand der Drogen das eigentliche Risiko. Zwar machten sich die Verkäufer einen Spaß daraus, ihre Päckchen mit den Stempeln imaginärer Organisationen zu versehen (die klingende Namen wie StudentsFromAbroad etc. trugen), gleichwohl bestand doch immer die Gefahr, dass die Sendung aufgespürt und zumindest das Postbüro zu ermitteln war, von wo aus sie aufgegeben worden war. Im Großen und Ganzen war diese Befürchtung übertrieben – denn als der CIA selbst einige Test-Bestellungen aufgab, erwies sich das Postgeheimnis als sicherer Schutz. Nur eine einzige von 51 aufgegebenen Drogensendungen ging den Zollbehörden ins Netz. Das Hauptrisiko, mit dem Ulbricht zu tun hatte, war vor allem der menschliche Faktor. Ein paar Monate nach dem Start der Plattform, zur Feier des 11.11.20011, gab sein Programmiererfreund Bates eine Party. Angetrunken, und in einem Anflug von Panik, beichtete Ulbricht seinem Mitwisser, dass auch seine Geliebte Julia zur Gefahrenzone geworden war, denn eine Freundin, der sie sein Geheimnis anvertraut hatte, hatte auf seiner Facebook-Wand den folgenden, überaus bedrohlichen Einwand hinterlassen: »Ich bin sicher, dass die Behörden ein großes Interesse an deiner Drogenseite haben.« Er hatte diesen Eintrag sogleich gelöscht – und sich daraufhin überhaupt aus der Welt der sozialen Netze verabschiedet.
Mitte Januar 2011 geht die Silk Road an den Start. Ein paar Tage später wird eine Wordpress-Seite erzeugt, dann folgen vereinzelte Erwähnungen, auf der besagten shroomery Webseite, dann auf Bitcointalk. Langsam aber sicher beginnt eine Mund-zu-Mund-Propaganda. Ist am Anfang Ulbricht der einzige Verkäufer, so melden sich alsbald auch andere Verkäufer an. Neben dem doppelten Schutz, den die Nutzung von Tor und Bitcoin versprechen, ist das Erfolgsgeheimnis der Seite, dass Ulbricht sich als ehrlicher Makler versteht, der mit allen seinen Kräften Betrugsversuche zwischen Käufern und Verkäufern zu verhindert sucht. Vergleicht man die Silk Road mit den Ablegern, die seither das Deep Web bevölkern haben (vom Sheep Market, Atlantis, Agora etc. – Shops, die allesamt mehr oder minder auf die Ausplünderung ihrer Kunden angelegt waren), so ist dieser Aspekt vielleicht das Erstaunlichste – gelingt es Ulbricht tatsächlich, als center of trust in Erscheinung zu treten. Die Transaktionen werden mithilfe eines Treuhänderkontos abgewickelt. Hat ein Käufer eine bestimmte Menge Drogen bestellt, so überweist er den Betrag auf ein Treuhänderkonto, wo er so lange eingefroren wird, bis der Empfang bestätigt wird. Ist ein bestimmter Zeitpunkt überschritten, so geht der Betrag automatisch dem Verkäufer zu. Dieses Verfahren, das den Käufern eine relative Sicherheit gibt, nicht über die Ladentheke gezogen zu werden, führt zu einem großen Kundenandrang – und rechtfertigt die zehnprozentige Kommission, die Silkroad von den Verkäufern erhebt.
Mögen hier auch harte Drogen, gefälschte Papiere oder gecrackte Computerprogramme vertrieben werden, unterscheidet sich die Logik nur unwesentlich von jener Shop-Logik, die jedem Internetnutzer in Fleisch und Blut übergegangen ist. Man hat einen Einkaufskorb, die Waren werden mit Fotos und den entsprechenden Beschreibungen angepriesen, zudem können Nutzer ihre Erfahrungsberichte mit Verkäufer und Produkt hinterlassen. Ein Sternesystem gibt den Käufern Anhalt, ob der Verkäufer in der Gemeinschaft eine gewisse Reputation errungen hat. Es gibt eine PM-Funktion, mit der sich Nutzer private Nachrichten zukommen lassen können. Die Kommunikation ist so konsistent und selbsterklärend, dass die Zahl der Nutzer schnell wächst. Besonders hilfreich sind die Hinweise, wie die Verkäufer ihre Ware so verpacken, dass sie nicht auffällt, sondern mühelos auf dem Postweg versendet werden kann. Da Ulbricht zu Beginn sämtliche Arbeiten allein erledigt, vom Support, den Überweisungen bis zum Stopfen der immer neu aufklaffenden Lücken im Code, ertrinkt er geradezu in Arbeit. Tatsächlich ist Dread Pirate Roberts die Inkarnation der Silkroad selbst – und so ist es nicht Hybris allein, die ihn noch Anfang 2012 zu der Behauptung verleitet:
»Ich bin die Silk Road, der Markt, die Person, das Unternehmen, alles«.
Ist diese Identifikation mit dem Repräsentanten psychologisch nachvollziehbar, so ist sie doch bis zu einem gewissen Grade imaginär. Denn Silk Road ist eine Maschine, die betrieben werden will – und die mit der Bitcoin- und der Tor-Architektur Fremdkörper in sich trägt, die Ross Ulbricht sich nur mit Mühe hat einverleiben können. Und fortwährend treten neue Sicherheitslücken auf.
In einem bestimmten Stadium hat ein Hacker beträchtliche Fehler in meinem Code gefunden. Ich habe ihm die Passage zur Ansicht geschickt und er schrieb darauf nur: „Das ist Amateurscheisse“.
Sehr bald schon muss Ulbricht einsehen, dass eine Plattform, die Abertausende von Nutzern bedient, eine Gesellschaftsform ist, die sich von einer Einzelperson nicht aufrechterhalten lässt – weder was die Expertise, noch was die Moderationsanstrengungen anbelangt, die mit der Verwaltung der Community verbunden sind. Händler, die versuchen, das Treuhandsystem zu unterlaufen, müssen ermahnt, fragwürdige Produkte (wie Waffen, Kinderpornografie etc.) aus dem Angebot gestrichen werden. Als im Juni des Jahres 2011 das Magazin Gawker unter dem Titel »The Underground Website Where You Can Buy Any Drug Imaginable« einen Bericht zur Silk Road bringt, registrieren sich die Nutzer in Scharen. Zwar stellt der Bericht, in Hinsicht auf die Anonymität der Bitcoins, durchaus kritische Fragen, aber es fallen doch Begriffe wie Schwarzmarkt eCommerce-Revolution; und wenn es heißt: »Es ist Amazon, wenn Amazon bewusstseinsverändernde Substanzen vertriebe«, so ist dies eine Werbung, wie sie sich Ulbricht nicht besser hätte vorstellen können. Mit dem Erfolg explodieren die Gewinne – und Ulbricht begreift, dass er die Arbeit allein nicht wird stemmen können. Weil sein Freund Richard Bates ein Jobangebot abgelehnt hat, ist er auf die Hilfe von Fremden angewiesen. Da das Stopfen von Sicherheitslücken Priorität hat, postet Ulbricht, in Gestalt der altoid-Persona, eine Anfrage im bitcointalk-Forum – wobei er so töricht ist, seine Gmail-Adresse zu verraten.