Wenn der russische Einmarsch in der Ukraine den Frost des kalten Krieges ins Denken zurückgeholt und die Fragwürdigkeit der Energiewende decouvriert hat, so markiert dies weniger eine Zeitenwende, als dass es die Phantasmen der classe politique hervortreten lässt. Eine der großen Überraschungen ist, dass die edle Hochherzigkeit des grünen Zeitgeistes, in die Verantwortung genommen, höchst unfreundliche Züge verrät, ja, dass er ein Denken zu Tage treten lässt, das einige Verwandtschaft zum Neomalthusianismus aufweist.1 Und so ist man sich, in paternalistischer Manier, nicht zu schade dazu, den Menschen den Gebrauch eines Waschlappens anzupreisen, während man mit größter Selbstverständlichkeit, um der ideologischen Reinheit oder der eigenen Klientel willen, mit der Kernkraft ein Zehntel der Primärenergie vom Netz nimmt. Dass mit dieser Entscheidung eine Deindustrialisierung des Landes droht, ja, dass selbst große Teile des Mittelstandes in Haftung genommen werden, steckt man kurzerhand weg – oder wischt es mit einem Hinweis auf die Gesetze des Marktes und die hohe Mission des Klimaschutzes beiseite.
Dass das ideologische Wohlbefinden dem Rest der Welt große Bürden auferlegt, ja, dass man dem ansonsten so hofierten globalen Süden das Recht auf Weiterentwicklung abspricht, wird dabei so großzügig übersehen, wie der Umstand, dass bereits die Einführung des Biodiesels zur Abholzung indonesischer Palmenwälder und des Amazonas-Regenwaldes geführt hat. Und weil der Weg in die Hölle bekanntlich mit guten Vorsätzen gepflastert ist, wäre dies ein Grund, einen Blick zurückzuwerfen, dorthin, wo der Reverend Thomas Malthus jene Denkfigur in die Welt gesetzt hat, die im Schatten der Klimadebatte zum Katechismus des Weltenretter geworden ist. Bezeichnend ist, dass Malthus Schrift 1798 erschienene Schrift An Essay on the Principle of Population weniger als positiver Zukunftsentwurf zu verstehen ist, denn als Reaktion auf den Fortschrittsoptimismus der französischen Revolution. Denn dort war, wie in Condorcets Betrachtungen über die Fortschritte des Menschengeschlechts, zu lesen, „dass die Natur unseren Hoffnungen keine Grenze gesetzt hat“.2 Weil die Revolutionsbegeisterung im Anarchismus von William Godwins Enquiry Concerning Political Justice von 1793 das englische Establishment in Angst und Schrecken versetzt hatte, entschied man sich, den Geist der Revolte im Keim zu ersticken. Pragmatisch, wie man war, optierte man nicht für die Gewalt, sondern für ein soziales Sedativum. Also setzte man im Jahr 1795 mit dem Speenhamland Act die sogenannten Armengesetze durch, eine Art frühes Grundeinkommen, das die Sprengel verpflichtete, sich um die Armen ihres Bezirkes zu kümmern. Nun ließen die Reaktionen der Besitzenden nicht lang auf sich warten. Den Anfang machte Joseph Townsends Dissertation über die Armengesetze, in der er die Meinung verfocht, dass allein der Hunger ein probates Erziehungsmittel gegen das Nichtstun sei und dass derjenige, »der die Armen in nützlicher Arbeit einsetzt, ihr einziger Freund, derjenige, der sie nur ernährt, ihr größter Feind« ist.3 Der Reverend Malthus ging in seiner Ablehnung noch einen Schritt weiter. Denn in seiner Schrift zu den Grenzen des Wachstums erinnerte er daran, dass die konstante Bodenfläche mit dem Bevölkerungswachstum nicht Schritt halten kann, ja, dass es bei einem übermäßigen Bevölkerungswachstum zwangsläufig zu Hunger und Armut kommen müsse. Dieses vermeintlich eherne Gesetz hatte, sozialpsychologisch betrachtet, eine fatale Wirkung. Solcherart nämlich konnte sich ein Klassenkampf von oben ausbreiten, konnten sich die Besitzenden in der Überzeugung ergehen, dass die niederen, allzu fortpflanzungswilligen Schichten selbst an ihrem Elend schuld seien, während man sich umgekehrt im Daseinskampf den Auserwählten zurechnen konnte. Und als man sich im Jahr 1834 dafür entschied, die Armengesetze aufzugeben, geschah dies mit Rückbezug auf die erzieherische Funktion der Arbeitsmoral – war der Malthusianismus das ideologische Rüstzeug, mit dem sich der Manchesterkapitalismus durchsetzen konnte. In schönster Kürze findet sich diese Weltanschauung in der Worten Harriet Martineaus, die das ökonomische Denken popularisiert und mit moralisierenden Schiften massentauglich gemacht hatte:
…. eine meiner politischen Panikanwandlungen (die ich immer wieder durchlebte) war, dass das Land durch sein Armenrecht bankrott gehen würde. Eine andere Panik bezog sich auf die Revolution, wobei unsere Vorstellung von Revolution natürlich aus Guillotinen auf den Straßen und all diesen Dingen bestand.4
Weil der Hunger zu einer Erziehungsmaßnahme geworden war, war die Hartherzigkeit gesellschaftstauglich geworden. Das hatte zur Folge, dass, als Mitte des 19. Jahrhunderts, aufgrund eines neuartigen Pilzbefalls (Phytophthora infestans) in Irland die Kartoffelernten ausblieben und es zu einer großen Hungersnot kam, die englische Gesellschaft der Meinung war, dass dies ein Schicksal war, welches den Sexualtrieb der allzu fortplanzungswilligen Katholiken eindämmen und den Pauperismus auf eine gesellschaftsverträgliches Maß zurechtstutzen könne – was nichts anderes als eine Anwendung des Malthusianischen Denkens war. Und weil man andererseits auf dem Freihandel insistierte, wurden die irischen Getreideernten nach England verschifft, während die irische Population dem Hunger überantwortet und fast um die Hälfte dezimiert wurde. Was ein Zeitgenosse mit der lakonischen Bemerkung quittierte:
»Der Allmächtige, gewiss, sandte die Kartoffelfäule, aber die Engländer schufen die Hungersnot.«
Das Kuriosum an der Malthus’schen Gedankenfigur, welche die Ökonomen wie die Evolutionsbiologen gleichermaßen inspirierte, ist, dass sie jeder Realität, jeder Widerlegung zu trotzen vermochte, nein, ärger noch, dass sie als ein gedanklicher Wiedergänger in verschiedensten Verkleidungen Urstände feierte. Dass Paul Ehrlich 1968 mit seiner Population Bomb seine These von der Bevölkerungsexplosion verbreitete und wenig später der Club of Rome die Grenzen des Wachstum dekretierte, ließ das Malthusianische Denken wiederauferstehen – nur dass es sich jetzt das Gewand des Umweltschutzes übergezogen hatte. Nun stellte sich Ehrlichs Aussage, dass in den 70er und 80er Jahren Hunderte Millionen Menschen des Hungers sterben würden, als leerer Alarmismus heraus – so wie sich fast all seine Prognosen als gegenstandslos erwiesen. Dies allerdings focht ihren Urheber keineswegs an. Folglich ist auch der Neunzigjährige noch der Überzeugung, dass die drohende Katastrophe zwar aufgeschoben, aber keineswegs aufgehoben sei. Mag sich Paul Ehrlich als »unbezähmbarer Untergangsprophet« einen Namen gemacht haben, so hat sich sein Malthusianismus als weit explosiver erwiesen als die Bevölkerungsexplosion.
Nicht zufällig hängt mittlerweile fast jeder der Meinung an, dass es eine natürlichen Grenze gibt, die von den Menschen sträflich vernachlässigt wird. Was dieses Denken vollständig übersieht, ist der Umstand, dass sich mit der Digitalisierung die Idee des Wachstums ins „plus intra“ hinein verschoben und das Silicon Valley höchst erfolgreich demonstriert hat, dass sich auf einem Silizumkristall ein Milliardenfaches der ursprünglich gegebenen Informationsmenge speichern lässt (und dies bei gleichbleibendem Materialaufwand). Und ironischerweise war genau dies die conditio sine qua non jener Modellrechnungen, die Dennis Meadows für den Club of Rome vorgenommen hatte. In diesem Sinn könnte man sagen, dass man mit den Grenzen des Wachstums vor allem die eigene Begrenztheit in alle Zukunft hinein fortschrieb – und auf der anderen Seite das menschliche und soziale Ingenium sträflich vernachlässigte.5
Schon aus diesem Grund sind die malthusianisch inspirierten Diskurse nur mit höchster Vorsicht zu genießen. Dabei ist die scheinbare Selbstevidenz der natürlichen Grenze vielleicht das größte Problem. Denn sie erlaubt es demjenigen, der sie ins Feld führt, sich zum Sprecher des Realitätsprinzips aufzuschwingen – eine Maßnahme, die mit einer Selbstermächtigung ersten Ranges einhergeht. Denn indem man die Verschwender an die Knappheit erinnert, weiß man sich auf der richtigen Seite der Geschichte, genauer: auf Seiten der Natur. Und gibt es ein schlagkräftigeres Argument als dieses? Nicht zufällig wird jeder Student der Volkswirtschaftslehre zu Anfang seines Studiums mit der These konfrontiert, dass die Menschen den kalten Stern der Knappheit bewohnen. Allerdings sollte bereits ein Gang in den Supermarkt, aber auch der Blick auf den eigenen Desktop ausreichen, um sich davon zu überzeugen, dass man es hier eher mit einem Glaubensartikel, ja einer Wunschvorstellung der ökonomischen Zunft zu tun hat.
Und wenn der Wunsch der Vater des Gedankens ist, so ist er die Mutter der Sinnestäuschung.
In jedem Fall ist mit der Behauptung einer naturgegebenen Grenze die Frage nach dem psychologischen Mehrwert verdunkelt, den die Verfechter einer solchen Denkungsart daraus schlagen. Denn hinter der Behauptung einer wie auch immer gearteten Natur – noch dazu, wenn man sie mit einer Form der Begrenzung verbindet –, verbirgt sich die Weigerung, sich Gedanken darüber zu machen, ob diese Grenze nicht bloß die Beschränktheit des eigenen Denkens zu Wort kommen lässt. In jedem Fall kann man sich, mit der Berufung auf eine höhere Instanz, im eigenen Weltgebäude einmauern. Und so wie Malthus (immerhin ein Zeitgenosse von James Watt und Jacquard) das Betriebssystem des modernen Kapitalismus komplett ignorierte, ist auch der Zeitgenosse, der auf der natürlichen Grenze insistiert, der Peinlichkeit enthoben, sich Gedanken über die Lösung der selbstgeschaffenen Probleme zu machen. Konnte Charles Dickens noch sagen, dass der Wandel den Wandel erzeugt, hat man es hier mit einem Denken zu tun, bei dem der Mangel den Mangel erzeugt (weswegen die Prediger der Apokalypse nichts daran finden, die allgemeine Mangellage noch zu befördern - etwa indem sie ihrerseits Gasleitungen blockieren). Demgemäß hat man es im Wortsinne mit einer eigentlich reaktionären Weltsicht zu tun. Und dies trifft auch auf diejenigen zu, die sich für aufgeklärt und fortschrittlich halten. Denn wenn Ökonomie nur ein Nullsummenspiel sein kann, erschöpft sich die Aufgabe der Politik darin, den Mangel auf möglichst gerechte Weise zu verteilen. Folgt man dieser Prämisse, gerät man sehr bald schon in ein dunkles Register hinein. Denn selbstverständlich ist der Mahner, der auf die natürliche Grenze hinweist, seinerseits versucht, die Rolle eines Grenzwächters einzunehmen – desjenigen, der über die Grenzwerte wacht, der die Verteilung besorgt und das Zulässige vom Unzulässigen scheidet. Und weil er, mit dem Verweis auf die natürliche Grenze, von einer höheren Instanz dazu berufen ist, gesellt sich dieser Selbstermächtigungsformel auch das gute Gewissen hinzu, eine Legitimität, die sich von einer höheren Macht ableitet (und schon demokratietheoretisch höchst fragwürdig ist). Anders als im Gottesgnadentum, das immerhin noch ein Spurenelement des Jenseitigen enthält, ist diese Macht (die Natur) eine konsequent innerweltliche. Folglich kennt das malthusianische Denken weder Gnade noch Vergebung, sondern tritt dem Sünder in Gestalt einer strafenden Gottheit gegenüber, einer Instanz, hinter der sich das blanke Nichts verbirgt (was einen Philosophen des 19. Jahrhunderts dazu verleitete, im malthusianischen Denken ein Imbroglio von Pessimismus, Nihilismus und Sozialdarwinismus zu orten). Das mag das innige Verhältnis erklären, welches das malthusianische Denken zur Apokalypse unterhält. Denn selbige fungiert nicht mehr als Offenbarung, sondern als ein Mittel der Selbstermächtigung. Ideologisch gesehen ist dies ein bemerkenswerter Kunstgriff. Denn indem man den Proletarier (die entfremdete Kreatur) durch die geschändete Erdmutter ersetzt hat, hat sich das Denken aus dem Klammergriff der politischen Ökonomie befreit. Weil damit dem Voluntarismus Tür und Tor geöffnet worden ist, lassen sich die Phantasien des kommenden Weltuntergangs in einen politischen Macht- und Erlösungsanspruch ummünzen. Nicht ganz zufällig geht es bei der Debatte nicht mehr um diese oder jene politische Maßnahme, sondern ums Große und Ganze – hat sich selbst der IPCC auf einen Systemwechsel verpflichtet (was auch immer das heißen mag). Freilich: Man muss sich nur die Erziehungsmaßnahmen der Weltenretter vor Augen halten, um sich klarzuwerden, dass sich hier klandestin eine menschenfeindliche Ideologie Bahn gebrochen hat. Hat man einmal das Leben eines Kindes in einen CO2-Fußabdruck umgerechnet, liegt der Gebärstreik nicht fern, ebenso wie der Antinatalismus sich fürs moral grandstanding eignet. Es ist das Beste, nicht geboren zu sein.
Bereits im Jahr 2020 hat der französische Autor Guillaume Blanc ein Buch veröffentlich, das sich mit dem grünen Kolonialismus beschäftigt: L'invention du colonialisme vert: Pour en finir avec le mythe de l'Éden africain. Paris 2020.
Bereits diese Schrift war das Werk eines Getriebenen, eine Girondisten, also eines eher gemäßigten Revolutionärs, der ahnte, dass die Revolution ihre Kinder auffressen würde. Bis heute ist nicht klar, ob er seinem Leben mit Gift ein Ende setzte – oder ob ihm das Gift verabreicht wurde.
Joseph Townsend in seiner Schrift zu der Armengesetzgebung, 1795.
Harriet Martineaus Autobiography. Bd. 1, London 1969, S. 80.
Dennis Meadows Modellierungen, mit denen er Prognosen über einen Zeitraum von hundert Jahren abgab, basierten auf gerade fünf Variablen - was “unterkomplex” zu nennen nachgerade ein Euphemismus wäre.