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Hopkins Stanley: Es dauert nicht mehr lang – und der erste Band Deiner Psychologie der Maschine erscheint. Wie ist es zu diesem Projekt gekommen?
Martin Burckhardt: Ja, das stimmt. Normalerweise nimmt man sich ein solch größenwahnsinniges Projekt nur vor, wenn man jung ist. Corona war ein merkwürdiger Stillstand – beinahe so etwas wie die Aufforderung, sich noch einmal zu sammeln und die Zeit für all die Fragen zu nutzen, die sich im Laufe der Zeit angehäuft haben. Und nicht zuletzt hat das mit dieser sonderbaren Gegenwart zu tun, in der die Geister der Vergangenheit wiederauferstehen … Insofern ist es nicht zufällig, dass der erste Band dem Unbehagen in der Moderne gewidmet ist.
HS: Lass uns, bevor wir auf das Buch eingehen, noch einen Blick auf das Gesamtprojekt werfen. Warum muss man sich mit der Psychologie der Maschine beschäftigen? Ist das nicht ein Widerspruch in sich selbst?
MB: Wenn man die Maschine den toten Dingen zurechnet, gewiss. Aber wenn ich eines mit Gewissheit weiß, so dass dieser Geräteglaube ein frommer Irrtum ist – weswegen seine Adepten stets zu Fluch und Segen der Technik Zuflucht nehmen. Nein, historisch besehen ist die Maschine eher so etwas wie ein magischer Spiegel, in dem man sich selbst wiedererkennt – oder genauer: sich verpasst, wie man heute am Beispiel der künstlichen Intelligenz sehen kann. Genau dieses Unbewusste hat mich interessiert – und deswegen folgt der Philosophie eine Psychologie der Maschine nach.
HS: Du hast, um diese Wende zu erklären, dieses wunderbare Nietzsche-Zitat gebracht.
»Wer war überhaupt vor mir unter den Philosophen Psycholog und nicht vielmehr dessen Gegensatz ›höherer Schwindler‹, ›Idealist›? Es gab vor mir noch gar keine Psychologie.«
MB: Ja, Nietzsche hat diesen blinden Fleck, den philosophischen Größenwahn, wenn man so will, präzise erfasst. Es gibt noch ein anderes wunderbares Zitat von ihm, das der Fernstenliebe gewidmet ist – und in dem die Frage deutlich aufscheint: Höher als die Liebe zum Nächsten ist die Liebe zum Fernsten und Künftigen; höher noch als die Liebe zu Menschen ist die Liebe zu Sachen und Gespenstern. Diese Liebe zu den Sachen und zu den Gespenstern – das meint eigentlich jenes Unbewusste, das uns formatiert, aber im kollektiven Denkhorizont nicht erscheint.
HS: Ja, die Fernstenliebe hat wirklich einen so großen Eindruck auf mich gemacht. Wie hat sich deine Liebe zu den Sachen und zu den Gespenstern zur Idee einer Buchreihe entwickelt?
MB: Ich hatte eine Einladung vom IWM in Wien und habe mich mit einer Reihe von Fragen beschäftigt – aber es wurde immer deutlicher, dass das den Rahmen einer Monographie sprengt. Es begann damit, dass ich mich in das Werk des Bronislaw Malinowski vertieft habe – mit der Absicht, die anthropologische Distanz zur Maschinenwelt herauszuarbeiten. Aber darüber wurde ziemlich schnell klar, dass eigentlich alle Institutionen, die wir für selbstverständlich halten, in anthropologischer Perspektive nicht zu erklären sind. Der fremde Gott des Monotheismus, die Idee des Rechts, die Idee der Gleichheit, die Logik der Ökonomie – all diese Konzepte leben davon, dass sie nicht in der Natur präfiguriert sind, sondern in einem, wenn man so will, extraterrestrischen geistigen Raum.
HS: Genau, das war der Vortrag im IWM, den ich damals 2021 gehört habe und der mich so neugierig gemacht hat wie er den Moderator ratlos zurückgelassen hat: Alien Logic. Das erschien mir einerseits unerhört, andererseits einleuchtend, in jedem Fall hat mich dieser Gedanke bewegt, mit Dir Kontakt aufnehmen zu wollen. Wenn ich jetzt das erste Buch nehme, das Über dem Luftmeer betitelt ist, so ist der Gedanke des Extraterrestrischen keine Metapher, sondern etwas ganz Handgreifliches. Aber erzähl selbst.
MB: Ja, das war für mich selbst eine tiefe Entdeckung. Ich hatte schon vor langer Zeit die Digitalisierung mit der Geschichte der Elektrizität verknüpft, aber mir war der Übergang vom mechanischen Weltbild hin zur liquiden, verflüssigten Moderne nicht klar – bis ich mich mit Robert Boyle und der Entdeckung des Vakuums beschäftigt habe. Und da bin ich auf Torricellis Entdeckung gestoßen, der mit seinem Barometer im Gepäck auf einen Berg geklettert ist und bemerkte, dass, je höher er kam, das Quecksilber immer weiter absank. Und daraus schloss er, dass das Gewicht der Luft abnahm – und dass die Luft irgendwann dünn werden und in ein Vakuum übergehen würde. Und genau das bedeutet die Entdeckung des Vakuums. Man begibt sich intellektuell in eine extraterrestrische Beobachterposition …
HS: … in der man de facto nicht überleben kann. Das ist wirklich ein schlagendes Beispiel, wie auch das Ölgemälde des Joseph Wright of Derby, bei dem man sehen kann, wie einem Vogel, der in einer Boyle’schen Vakuumpumpe platziert ist, die Luft abgedreht wird … Und das entsetzt die Zuschauer natürlich enorm.
MB: Ja, genau das ist die kognitive Dissonanz der Moderne. Man befindet sich mental im extraterrestrischen Raum, in dem man nur als Cyborg, als kybernetisch augmentierter Organismus überleben kann. Aber andererseits ist man ein Erdenbürger, der die Luft zum Atmen benötigt. Diese Schizophrenie zieht sich durch die ganze Moderne hindurch – und sie wird, und das ist das Befremdliche, just in dem Maße unerträglich, in dem sich die Moderne modernisiert.
HS: Deswegen der Untertitel des Buches: Vom Unbehagen in der Moderne.
MB: Ja. Und dieses Unbehagen ist, wie man sehen kann, so ausgeprägt, dass man just in dem Augenblick, da mit der Digitalisierung das neue Betriebssystem der Gesellschaft zur Form gefunden hat, die Postmoderne ausgerufen hat – als könne man sich mit dieser Art Sprachmagie vor den Folgen des eingeleiteten Wandels schützen.
HS: Ich finde Deinen Rückblick schon deswegen faszinierend, weil hier eine ganz andere Moderne-Erzählung aufscheint. Da gibt es einerseits einen ganz fraglosen Fortschritt, andererseits kann man verfolgen, wie der Schlaf der Vernunft lauter moderne Ungeheuer gebiert: Nationalismus, Antisemitismus, Biomacht. Und man sieht, dass just in dem Maße, in dem der Fortschritt seinen Preis einfordert, das Unbehagen zunimmt. In diesem Sinne finde ich es absolut logisch, dass in deiner Geschichte das Unbewusste, aber auch der Zombie erscheinen …
MB: Ja, das hat mich tief bewegt. Nämlich dass, wenn man die modernen Triebkräfte ins Auge fasst, man mit dem Unheimlichen zu tun bekommt. Oder präziser noch: dem Unbewussten. In diesem Sinn könnte man von der Entstehung des Unbewussten aus dem Geiste der Elektrizität sprechen. Das ist vielleicht die größte Wende, die ich mit dieser Psychologie der Maschine vollziehe: nämlich dass man die jeweilige universale Maschine als das gesellschaftlich Unbewusste auffassen muss, eine Welt, die man, obschon sie das ganze Leben bestimmt, nach Leibeskräften verleugnet. Das ist heutzutage ja fast mit den Händen zu greifen. Weil man sich nicht mit der Zukunft anfreunden mag, flüchtet man sich in die Moral, in die Vergangenheit und in die Apokalypse hinein. Ich muss gestehen: Ich fand das Video, dass Du mir aus San Francisco geschickt hat, absolut hinreißend. Lauter betagte, ältere Herrschaften, die sich in Büßergewänder gehüllt haben, auf denen die drohenden Plagen des Klimawandels angekündigt werden, Hitzewellen, Hungersnöte, Überflutungen. In einer Variation eines Nietzsche-Zitats könnte man sagen: Wer mit Fossilien kämpft, muss aufpassen, dass er nicht selbst zum Fossil wird …
HS: Ja, die kognitiven Dissonanzen sind himmelschreiend. Da wollen die Großeltern etwas tun, aber die Flugreisen einschränken, um die Enkel zu sehen, das geht gar nicht. Deshalb die Demonstration. –- Aber lass uns nochmals auf Deine Buchreihe zurückkommen. Womit beschäftigen sich die anderen Bände?
MB: Der zweite Band springt tief in die Anfänge der modernen Anthropologie, zu Bronislaw Malinowski und seinen Trobriandern zurück. Und da zeige ich auf, was uns Aliens von unsere Vorfahren unterscheidet – und weswegen die Anrufung des Menschlich-Allzumenschlichen nicht weiterführt. Denn da werden wir solche Phänomene wie Geld, Zins, Recht, Gleichheit etc. niemals verstehen. Der dritte Band, der Vom Himmelsfeuer heiß, beschäftigt sich mit der Geburt des Monotheismus, genauer: er zeigt auf, dass der Monotheismus im Grunde die Folge der mechane ist. Insofern ist es kein Zufall, dass Jesus behauptet, dass sein Reich nicht von dieser Welt ist und sich ein Valentinus einen fremden Gott herbei imaginiert … Band vier, Scheinproduktion betitelt, beschäftigt sich mit der Logik der Verblendung. Diese vier Teile sind schon geschrieben. Hinzukommen wird ein Band, der Machtwort betitelt ist und sich mit der Frage der politischen Macht auseinandersetzt – und am Ende greife ich den Gedanken der Alien Logic nochmals auf.
HS: Wenn Du zurückschaust: Was hat dich an dieser Arbeit am meisten befriedigt?
MB: Vielleicht, dass all dies mit einer Serie von Entdeckungen verbunden war. Ich kann mich an keine Phase meines Lebens entsinnen, die mit einer intensiveren Lektüre verbunden gewesen wäre. Aber es war eben nicht uferlos, und so gab es auch niemals das Gefühl, dass ich mich in alledem verlieren könnte. Ganz im Gegenteil: Urplötzlich waren da lauter neue Verbindungslinien da. Im Grunde ist das ja das Schönste, was einem Autor passieren kann: Dass man in seinen Metaphern, Ahnungen und Assoziationen von die Wirklichkeit selbst bestätigt wird. Dass man sich nichts ausgedacht hat, sondern dass die eigene Intuition ein kollektives Unbewusstes zu Tage gefördert hat.